Ihr Trick.

Eine lustige Geschichte von Paul Bliß
in: „Lienzer Zeitung” vom 20.10.1900, Text dazu,
in: „Baltische Post” vom 21.03., 22.03. u. 23.03.1906, Text dazu,
in: „Livländischer Kalender” von 1910, Text dazu,
in: „Reichenberger Zeitung” vom 19.08.1908 Text dazu,
in: „Nebraska Staats-Anzeiger und Herold” vom 16.10.1908,
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 07.08., 08.08. 09.08. und 11.08.1902 (hier: Die Prüfung zur Ehe), Text dazu

Es handelt sich hier um sechs Erzählungen, die den gleichen Titel tragen. Im „Livländischen Kalender” von 1910, in der „Reichenberger Zeitung” und im „Nebraska Staats-Anzeiger und Herold” einerseits und in der „Lienzer Zeitung”, in der „Baltischen Post” und dem „Deutschen Correspondenten” andererseits findet sich im wesentlichen der gleiche Text, wobei die Unterschiede rot gekennzeichnet sind.


Ihr Trick.

Eine lustige Geschichte von Paul Bliß
in: „Livländischer Kalender” von 1910

Als der Sommer ins Land kam und die jungen Frauen daran dachten, wie sie es anfangen sollten, ihren Männern diesmal die übliche Sommerreise abzuschmeicheln — zu dieser schönen Zeit besuchte Frau Lucie Holm ihre beste Freundin Ella Berger, um mit ihr über diese augenblicklich wichtigste Frage zu beraten.

Als Lucie die Freundin begrüßte, sah sie zu ihrem Erstaunen, daß Ella rotgeweinte Augen hatte.

„Aber Ella, was fehlt dir denn?” fragte sie erstaunt.

Unter Tränen berichtete die Freundin: „Denk' dir nur, mein Mann will mir diesmal keine Sommerfrische bewilligen!”

Lucie sah erstaunt auf und fragte dann: „Weshalb denn nicht?”

Er sagt, die Zeiten seien so schlecht; man müsse sparsam sein.”

Lucie zog die feinen Brauen ein wenig hoch, sann einen Augenblick nach und sagte darauf: „Du hättest dir vom Arzt die Reise verordnen lassen sollen.”

„Aber das tat ich ja!”

„Und dennoch sagte dein Tyrann nein?”

„Dennoch! Das ist es ja, was mich so empört!”

Nach einer kleinen Pause fragte Lucie: „Sag' mal, wär' es nicht besser gewesen, wenn du nicht so ehrlich, sondern mit etwas List und Klugheit vorgegangen wärst? Du weißt doch, daß alle Männer Egoisten sind — also muß man sie eben bei ihrer schwachen Seite zu packen suchen.”

„Daran habe ich keinen Augenblick gedacht,” schluchzte Ella; „ich glaubte eben, er würde mich so lieben, daß er mir jeden Wunsch erfüllt hätte!”

„Optimistin!” spottete Lucie, indem sie sich verabschiedete. „Na, verzag' nicht gleich! Vielleicht kann ich dir später einen guten Rat geben.”

Als Lucie allein war und ihrer Wohnung zuschritt, bedachte sie sich alles nochmals — und lächelnd kam sie zu dem Resultat: Nein, ich werde bei meinem Mann die Sache anders anfangen, damit ich mir keinen Korb hole!

Frau Lucie Holm wollte natürlich auch verreisen, und zwar war das idyllische Walsberg das Ziel ihrer heimlichen Sehnsucht, aber sie hütete sich wohl, das ihrem gestrengen Hausherrn zu verraten — o nein, dazu war sie zu klug! Sie versuchte es lieber, auf indirekten Wegen zu ihrem Ziel zu gelangen.

Als sie mit ihrem Mann beim Mittagessen saß, das sie gerade mit besonderer Sorgfalt hatte zubereiten lassen, sagte sie plötzlich: „Fehlt dir etwas, Fritz?”

Der Gatte, der beim besten Appetit war, sah ganz erstaunt auf, blickte sie an und fragte: „Wieso soll mir denn was fehlen?”

„Dein Aussehen gefällt mir nicht,” entgegnete sie ganz ruhig.

Er sah in einen Taschenspiegel, lächelte dann und sagte endlich: „Unsinn! Ich sehe genau so aus wie sonst; übrigens siehst du doch an meinem Appetetit, daß mir nichts fehlen kann.”

Lucie wurde ernst, als sie weitersprach: „Der Appetit will garnichts besagen, im Gegenteil, gerade Kranke haben oft einen geradezu unnatürlichen Appetit.”

Lächelnd wandte er ein: „Du willst mich wohl schon zu den Schwerkranken rechnen?”

Sie aber sprach ruhig und ernst weiter: „Nein, lieber Fritz — Scherz beiseite — ich habe dich schon seit mehreren Tagen genau beobachtet — ich wollte dich nur nicht beunruhigen, weil ich dachte, es würde sich bessern — es ist aber bis jetzt nicht besser geworden — in der Tat, dein Aussehen beunruhigt mich wirklich! Deine Gesichtsfarbe ist ja ganz gelblich.”

Jetzt wurde er aber doch unruhig. Indessen beherrschte ert sich schnell wieder, um sich keine Blöße zu geben, und erwiderte mit gemachter Heiterkeit: „Du siehst Gespenster, Schatz! Ich fühle mich so wohl, wie selten vorher!”

Frau Lucie zuckte mit den Schultern und sagte: „Nimm die Sache nicht so leicht, lieber Fritz! Achte lieber ein wenig auf dich! Die Sache beunruhigt mich ernsthaft.

Wieder versuchte er zu lächeln; aber es blieb bei dem Versuch; das beängstigende Wort der Frau setzte sich in seiner Einbildung fest und wurde zum nagenden Zweifel.

Gleich nach Tisch ging er in sein Zimmer und unterzog sein Aussehen einer durchaus eingehenden Prüfung — er befühlte seinen Puls und sein Herz, kontrollierte die Pulse nach der Uhr und besah sich so lange im Spiegel, bis er auch wirklich fand, daß seine Frau entschieden recht hatte, seine Gesichtsfarbe war gelblich und nicht normal.

Währenddessen stand die kleine Frau am Schlüsselloch der Tür und belauschte ihren Mann, und als sie ihn vor dem Spiegel stehen sah, wußte sie genug, sie hatte sich also nicht getäuscht, sie hatte wirklich seinen wunden Punkt getroffen!

*           *           *

Schon am Abend desselben Tages wollte es dem Hausherrn nicht mehr so recht schmecken, obgleich Frau Lucie ihm seine Lieblingsspeise zubereitet hatte.

Als er nicht aß, fragte sie erstaunt: „Schmeckt es dir nicht, Fritz? Du nippst ja kaum.”

„Ich habe keinen rechten Appetit,” entschuldigte er sich.

„Ja, ist dir denn nicht wohl?” fragte sie mit zärtlicher Besorgnis.”

„Das kann ich gerade nicht sagen,” entgegnete er leicht verlegen, „aber ich habe getan, was du mir geraten hast, ich habe mich beobachtet, und ich glaube, daß ich wirklich keine ganz gesunde Farbe habe.”

„Siehst du, wie recht ich hatte.”

Er nickte. „Ich glaube, mit meinem Magen ist es nicht ganz in Ordnung; ich werde mal unsern Dokter deshalb befragen.”

Jetzt nickte sie auch. „Das tu' nur, Fritz! — Aber weißt du, so schlimm wird es wohl nicht sein, daß du deshalb hungern müßtest — bitte, lang' doch zu!”

Doch er blieb standhaft, er aß nur sehr wenig, so schwer ihm dieser Verzicht auch wurde, denn es war ja sein Leibgericht.

Und während der nächsten Mahlzeiten wiederholte sich dasselbe — er aß fast nichts mehr.

„Aber Mann,” bat sie, „iß doch mehr! So krank bist du doch gewiß noch nicht, daß du dir solche Diät auferlegen müßtest.”

Doch auch jetzt blieb er fest.

„Besser ist besser,” sagte er, „mit dem Magen ist nicht zu spaßen.”

Da wurde sie energisch.

„Aber wenn du dich wirklich nicht wohl fühlst, lieber Fritz, so lassen wir doch den Arzt holen?”

Und er, der dies heimlich schon längst geplant hatte, sich bisher aber nur noch nicht so recht entschließen konnte, er sagte nun ein wenig kleinlaut: „Ja, lasse ihn nur kommen!”

Da atmete die kleine Frau heimlich wie befreit auf.

*           *           *

Als der Arzt kam, hatte Fritz gerade eine geschäftliche Besprechung, und so empfing ihn Frau Lucie allein.

„Nun, was fehlt denn Ihrem Mann eigentlich?” fragte der Arzt, als er der kleinen Frau galant die Hand küßte.

Sie lächelte schelmisch und sagte ein wenig zögernd: „Sie kennen ihn ja schon, Doktorchen.”

Der Arzt nickte lachend.

„Also hat er sich etwas eingebildet?”

Lucie nickte: „Er fürchtet für seinen Magen.”

Wieder lachte der Arzt.

„Sein Magen ist aber unverwüstlich.”

„Das wird er Ihnen doch nicht glauben!”

„Nun, so werde ich ihm zur Beruhigung etwas Unschädliches verschreiben!”

Da lächelte Frau Lucie ihr liebliches Lächeln und sagte: „Vielleicht wäre es besser, Sie verordneten ihm eine kleine Reise — so eine, die auch mir nichts schaden könnte!&”

„Ach so” — weiter sagte er nichts, aber er sah sie an und lachte; und endlich fragte er mit ganz leichtem Sarkasmus: „Dann kennen Sie wohl gewiß auch schon den Badeort, der — Ihrem Manne dienlich sein dürfte?”

Und mit leichtem Erröten antwortete sie: „Ich denke, daß Waldberg uns gut bekommen wird.”

„Nun, dann werde ich wohl dasselbe denken müssen!” Lachend küßte er ihr die Hand.

Eine Viertelstunde später verordnete der Arzt Herrn Fritz Holm einen sechswöchentlichen Aufenthalt in Bad Waldberg.

*           *           *

Nun sitzt das Ehepaar wohlbehalten in dem idyllischen Badeort.

Fritz tut genau, was der Arzt ihm verordnet hat; er lebt diät und regelmäßig, trinkt den Brunnen und geht viel spazieren, — und sein Appetit wird von Tag zu Tag besser, so daß er nach und nach seine alte Eßlust wiederfindet.

Und Frau Lucie tut, was sie als gute Frau ihrem Manne schuldig ist — sie pflegt ihn treu und brav; zwischendurch hat sie aber doch noch Zeit und Gelegenheit genug, auf der Kurpromenade und zu den Konzerten alle ihre reizenden neuen Roben zu zeigen, so daß sie voll auf ihre Kosten kommt!

Eines Tages bekam sie einen Brief von der Freundin Ella, die noch immer klagend daheim saß. „Was soll ich bloß tun? Gib mir doch einen guten Rat!” bat sie flehendlichst.

Da konnte Lucie ihr gutes Herz nicht mehr länger unterdrücken und sie gab der Freundin einen guten Rat!

Ihr Trick.

Eine lustige Geschichte von Paul Bliß
in: „Reichenberger Zeitung” vom 19.08.1908

Als der Sommer ins Land kam und die jungen Frauen daran dachten, wie sie es anfangen sollten, ihren Männern diesmal die übliche Sommerreise abzuschmeicheln — zu dieser schönen Zeit besuchte Frau Lucie Holm ihre beste Freundin Ella Berger, um mit ihr über diese augenblicklich wichtigste Frage zu beraten.

Als Lucie die Freundin begrüßte, sah sie zu ihrem Erstaunen, daß Ella rotgeweinte Augen hatte.

„Aber Ella, was fehlt dir denn?” fragte sie erstaunt.

Unter Tränen berichtete die Freundin: „Denk' dir nur, mein Mann will mir diesmal keine Sommerfrische bewilligen!”

Lucie sah erstaunt auf und fragte dann: „Weshalb denn nicht?”

Er sagt, die Zeiten seien so schlecht; man müsse sparsam sein.”

Lucie zog die feinen Brauen ein wenig hoch, sann einen Augenblick nach und sagte darauf: „Du hättest dir vom Arzt die Reise verordnen lassen sollen.”

„Aber das tat ich ja!”

„Und dennoch sagte dein Tyrann nein?”

„Dennoch! Das ist es ja, was mich so empört!”

Nach einer kleinen Pause fragte Lucie: „Sag' mal, wär' es nicht besser gewesen, wenn du nicht so ehrlich, sondern mit etwas List und Klugheit vorgegangen wärst? Du weißt doch, daß die Männer Egoisten sind — also muß man sie eben bei ihrer schwachen Seite zu packen suchen.”

„Daran habe ich keinen Augenblick gedacht,” schluchzte Ella; „ich glaubte eben, er würde mich so lieben, daß er mir jeden Wunsch erfüllt hätte!”

„Optimistin!” spottete Lucie, indem sie sich verabschiedete. „Na, verzag' nicht gleich! Vielleicht kann ich dir später einen guten Rat geben.”

Als Lucie allein war und ihrer Wohnung zuschritt, bedachte sie sich alles nochmals — und lächelnd kam sie zu dem Resultat: Nein, ich werde bei meinem Mann die Sache anders anfangen, damit ich mir keinen Korb hole!

Frau Lucie Holm wollte natürlich auch verreisen, und zwar war das idyllische Woldberg das Ziel ihrer heimlichen Sehnsucht, aber sie hütete sich wohl, das ihrem gestrengen Herrn zu verraten — o nein, dazu war sie zu klug! Sie versuchte es lieber, auf indirekten Wegen zu ihrem Ziel zu gelangen.

Als sie mit ihrem Mann beim Mittagessen saß, das sie gerade mit besonderer Sorgfalt zubereitet hatte, sagte sie plötzlich: „Fehlt dir etwas, Fritz?”

Der Gatte, der beim besten Appetit war, sah ganz erstaunt auf, blickte sie an und fragte: „Wieso soll mir denn das fehlen?”

„Dein Aussehen gefällt mir nicht,” entgegnete sie ganz ruhig.

Er sah in einen Taschenspiegel, lächelte dann und sagte endlich: „Unsinn! Ich sehe genau so aus wie sonst; übrigens siehst du doch am besten an meinem Appetetit, daß mir nichts fehlen kann.”

Lucie wurde ernst, als sie weitersprach: „Der Appetit will garnichts besagen, im Gegenteil, gerade Kranke haben mitunter einen geradezu unnatürlichen Appetit.”

Lächelnd wandte er ein: „Du willst mich wohl schon zu den Schwerkranken rechnen?”

Sie aber sprach ruhig weiter: „Nein, lieber Fritz, — Scherz beiseite, — ich habe dich schon seit mehreren Tagen genau beobachtet, — ich wollte dich nur nicht beunruhigen, weil ich dachte, es würde sich bessern, — es ist aber bis jetzt nicht besser geworden; — in der Tat, dein Aussehen beunruhigt mich! Deine Gesichtsfarbe ist ja ganz gelblich.”

Jetzt wurde er aber doch unruhig. Indessen beherrschte ert sich schnell wieder, um sich keine Blöße zu geben, und erwiderte mit gemachter Heiterkeit: „Du siehst Gespenster, Schatz! Ich fühle mich so wohl, wie selten vorher!”

Frau Lucie zuckte mit den Schultern und sagte: „Nimm die Sache nicht so leicht, lieber Fritz! Achte lieber ein wenig auf dich!”

Wieder versuchte er zu lächeln; aber es blieb bei dem Versuch; das beängstigende Wort der Frau setzte sich in seiner Einbildung fest und wurde zum nagenden Zweifel.

Gleich nach Tisch ging er in sein Zimmer und unterzog sein Aussehen einer durchaus eingehenden Prüfung — er befühlte seinen Puls und sein Herz, kontrollierte die Pulse nach der Uhr und besah sich so lange im Spiegel, bis er auch wirklich fand, daß seine Frau entschieden recht hatte, seine Gesichtsfarbe war gelblich und nicht normal.

Währenddessen stand die kleine Frau am Schlüsselloch der Tür und belauschte ihren Mann, und als sie ihn vor dem Spiegel stehen sah, wußte sie genug, sie hatte sich also nicht getäuscht, sie hatte wirklich seinen wunden Punkt getroffen!

*           *           *

Schon am Abend desselben Tages wollte es dem Hausherrn nicht mehr so recht schmecken, obgleich Frau Lucie ihm seine Lieblingsspeise zubereitet hatte.

Als er nicht aß, fragte sie erstaunt: „Schmeckt es dir nicht, Fritz? Du nippst ja kaum.”

„Ich habe keinen rechten Appetit,” entschuldigte er sich.

„Ja, ist dir denn nicht wohl?” fragte sie mit zärtlicher Besorgnis.”

„Das kann ich gerade nicht sagen,” entgegnete er leicht verlegen, „aber ich habe getan, was du mir geraten hast, ich habe mich beobachtet, und ich glaube, daß ich wirklich keine ganz gesunde Farbe habe.”

„Siehst du, wie recht ich hatte.”

Er nickte. „Ich glaube, mit meinem Magen ist es nicht ganz in Ordnung; ich werde mal unsern Doktor deshalb befragen.”

Jetzt nickte sie auch. „Das tu' nur, Fritz! — Aber weißt du, so schlimm wird es wohl noch nicht sein, daß du deshalb hungern müßtest — bitte, lang' doch zu!”

Doch er blieb standhaft, er aß nur sehr wenig, so schwer ihm dieser Verzicht auch wurde, denn es war ja sein Leibgericht.

Und während der nächsten Mahlzeiten wiederholte sich dasselbe — er aß immer weniger.

„Aber Mann,” bat sie, „iß doch mehr! So krank bist du doch gewiß noch nicht, daß du dir solche Diät auferlegen müßtest.”

Doch auch jetzt blieb er fest.

„Besser ist besser,” sagte er, „mit dem Magen ist nicht zu spaßen.”

Da wurde sie energisch.

„Aber wenn du dich wirklich nicht wohl fühlst, lieber Fritz, so lassen wir doch den Arzt holen?”

Und er, der dies heimlich schon längst geplant hatte, sich bisher aber nur nicht so recht entschließen konnte, er sagte nun ein wenig kleinlaut: „Ja, lasse ihn nur kommen!”

Da atmete die kleine Frau heimlich wie befreit auf.

*           *           *

Als der Arzt kam, hatte Fritz gerade eine geschäftliche Besprechung, und so empfing ihn Frau Lucie allein.

„Nun, was fehlt denn Ihrem Mann eigentlich?” fragte der Arzt, als er der kleinen Frau galant die Hand küßte.

Sie lächelte schelmisch und sagte ein wenig zögernd: „Sie kennen ihn ja schon, Doktorchen.”

Der Arzt nickte lachend.

„Also hat er sich etwas eingebildet?”

Lucie nickte: „Er fürchtet für seinen Magen.”

Wieder lachte der Arzt.

„Sein Magen ist aber unverwüstlich.”

„Das wird er Ihnen doch nicht glauben!”

„Nun, so werde ich ihm zur Beruhigung etwas Unschädliches verschreiben!”

Da lächelte Frau Lucie ihr liebliches Lächeln und sagte: „Vielleicht wäre es besser, Sie verordneten ihm eine kleine Reise — so eine, die auch mir nichts schaden könnte!&”

„Ach so” — weiter sagte er nichts, aber er sah sie an und lachte; und endlich fragte er mit ganz leichtem Sarkasmus: „Dann kennen Sie wohl gewiß auch schon den Badeort, der — Ihrem Manne dienlich sein dürfte?”

Und mit leichtem Erröten antwortete sie: „Ich denke, daß Waldberg uns gut bekommen wird.”

„Nun, dann werde ich wohl dasselbe denken.” Lachend küßte er ihr die Hand.

Eine Viertelstunde später verordnete der Arzt Herrn Fritz Holm einen sechswöchentlichen Aufenthalt in Bad Waldberg.

*           *           *

Nun sitzt das Ehepaar wohlbehalten in dem idyllischen Badeort.

Fritz tut genau, was der Arzt ihm verordnet hat; er lebt diät und regelmäßig, trinkt den Brunnen und geht viel spazieren, — und sein Appetit wird von Tag zu Tag besser, sein Gesicht immer gebräunter.

Und Frau Lucie tut, was sie als gute Frau ihrem Manne schuldig ist — sie pflegt ihn treu und brav; zwischendurch hat sie aber doch noch Zeit, auf der Kurpromenade und zu den Konzerten ihre reizenden Roben zu zeigen.

Eines Tages bekam sie einen Brief von der Freundin Ella, die noch immer daheim saß. „Was soll ich bloß tun? Gib mir doch einen guten Rat!” bat sie flehendlichst.

Da konnte Lucie ihr gutes Herz nicht mehr länger unterdrücken und sie gab der Freundin einen guten Rat!

Ihr Trick.

Eine lustige Geschichte von Paul Bliß
in: „Nebraska Staats-Anzeiger und Herold” vom 16.10.1908

Als der Sommer ins Land kam und die jungen Frauen daran dachten, wie sie es anfangen sollten, ihren Männern diesmal die übliche Sommerreise abzuschmeicheln — zu dieser schönen Zeit besuchte Frau Lucie Holm ihre beste Freundin Ella Berger, um mit ihr über diese augenblicklich wichtigste Frage zu berathen.

Als Lucie die Freundin begrüßte, sah sie zu ihrem Erstaunen, daß Ella rothgeweinte Augen hatte.

„Aber Ella, was fehlt Dir denn?” fragte sie erstaunt.

Unter Thränen berichtete die Freundin: „Denk' Dir nur, mein Mann will mir diesmal keine Sommerfrische bewilliggen!”

Lucie sah erstaunt auf und fragte dann: „Weshalb denn nicht?”

Er sagt, die Zeiten seien so schlecht; man müsse sparsam sein.”

Lucie zog die feinen Brauen ein wenig hoch, sann einen Augenblick nach und sagte darauf: „Du hättest Dir vom Arzt die Reise verordnen lassen sollen.”

„Aber das that ich ja!”

„Und dennoch sagte Dein Tyrann nein?”

„Dennoch! Das ist ja, was mich so empört!”

Nach einer kleinen Pause fragte Lucie: „Sag' mal, wär' es nicht besser gewesen, wenn Du nicht so ehrlich, sondern mit etwas List und Klugheit vorgegangen wärst? Du weißt doch, daß alle Männer Egoisten sind — also muß man sie eben bei ihrer schwachen Seite zu packen suchen.”

„Daran habe ich keinen Augenblick gedacht,” schluchzte Ella; „ich glaubte eben, er würde mich so lieben, daß er mir jeden Wunsch erfüllt hätte!”

„Optimistin!” spottete Lucie, indem sie sich verabschiedete. „Na, verzag' nicht gleich! Vielleicht kann ich Dir später einen guten Rath geben.”

Als Lucie allein war und ihrer Wohnung zuschritt, bedachte sie sich alles nochmals — und lächelnd kam sie zu dem Resultat: Nein, ich werde bei meinem Mann die Sache anders anfangen, damit ich mir keinen Korb hole!

Frau Lucie Holm wollte natürlich auch verreisen, und zwar war das idyllische Waldberg das Ziel ihrer heimlichen Sehnsucht, aber sie hütete sich wohl, das ihrem gestrengen Hausherrn zu verrathen — o nein, dazu war sie zu klug! Sie versuchte es lieber, auf indirekten Wegen zu ihrem Ziel zu gelangen.

Als sie mit ihrem Mann beim Mittagessen saß, das sie gerade mit besonderer Sorgfalt hatte zubereiten lassen, sagte sie plötzlich: „Fehlt dir etwas, Fritz?”

Der Gatte, der beim besten Appetit war, sah ganz erstaunt auf, blickte sie an und fragte: „Wieso soll mir denn was fehlen?”

„Dein Aussehen gefällt mir nicht,” entgegnete sie ganz ruhig.

Er sah in einen Taschenspiegel, lächelte dann und sagte endlich: „Unsinn! Ich sehe genau so aus wie sonst; übrigens siehst du doch am besten an meinem Appetetit, daß mir nichts fehlen kann.”

Lucie wurde ernst, als sie weitersprach: „Der Appetit will garnichts besagen, im Gegentheil, gerade Kranke haben oft einen geradezu unnatürlichen Appetit.”

Lächelnd wandte er ein: „Du willst mich wohl schon zu den Schwerkranken rechnen?”

Sie aber sprach ruhig weiter: „Nein, lieber Fritz, — Scherz beiseite, — ich habe dich schon seit mehreren Tagen genau beobachtet, — ich wollte dich nur nicht beunruhigen, weil ich dachte, es würde sich bessern, — es ist aber bis jetzt nicht besser geworden; — in der That, dein Aussehen beunruhigt mich! Deine Gesichtsfarbe ist ja ganz gelblich.”

Jetzt wurde er aber doch unruhig. Indessen beherrschte ert sich schnell wieder, um sich keine Blöße zu geben, und erwiderte mit gemachter Heiterkeit: „Du siehst Gespenster, Schatz! Ich fühle mich so wohl, wie selten vorher!”

Frau Lucie zuckte mit den Schultern und sagte: „Nimm die Sache nicht so leicht, lieber Fritz! Achte lieber ein wenig auf Dich!”

Wiederum versuchte er zu lächeln; aber es blieb bei dem Versuch; das beängstigende Wort der Frau setzte sich in seiner Einbildung fest und wurde zum nagenden Zweifel.

Gleich nach Tisch ging er in sein Zimmer und unterzog sein Aussehen einer durchaus eingehenden Prüfung — er befühlte seinen Puls und sein Herz, kontrollierte die Pulse nach der Uhr und besah sich so lange im Spiegel, bis er auch wirklich fand, daß seine Frau entschieden recht hatte, seine Gesichtsfarbe war gelblich und nicht normal.

Während dessen stand die kleine Frau am Schlüsselloch der Thür und belauschte ihren Mann, und als sie ihn vor dem Spiegel stehen sah, wußte sie genug, — sie hatte sich also nicht getäuscht, sie hatte wirklich seinen wunden Punkt getroffen!

*           *           *

Schon am Abend desselben Tages wollte es dem Hausherrn nicht mehr so recht schmecken, obgleich Frau Lucie ihm seine Lieblingsspeise zubereitet hatte.

Als er nicht aß, fragte sie erstaunt: „Schmeckt es Dir nicht, Fritz? Du nippst ja kaum.”

„Ich habe keinen rechten Appetit,” entschuldigte er sich.

„Ja, ist Dir denn nicht wohl?” fragte sie mit zärtlicher Besorgniß.”

„Das kann ich gerade nicht sagen,” entgegnete er leicht verlegen, „aber ich habe gethan, was Du mir gerathen hast, ich habe mich beobachtet, und ich glaube, daß ich wirklich keine ganz gesunde Farbe habe.”

„Siehst du, wie recht ich hatte.”

Er nickte. „Ich glaube, mit meinem Magen ist es nicht ganz in Ordnung; ich werde mal unsern Doktor deshalb befragen.”

Jetzt nickte sie auch. „Das thu' nur, Fritz! — Aber weißt du, so schlimm wird es wohl noch nicht sein, daß Du deshalb hungern müßtest — bitte, lang' doch zu!”

Doch er blieb standhaft, er aß nur sehr wenig, so schwer ihm dieser Verzicht auch wurde, denn es war ja sein Leibgericht.

Und während der nächsten Mahlzeiten wiederholte sich dasselbe — er aß fast nichts mehr.

„Aber Mann,” bat sie, „iß doch mehr! So krank bist Du doch gewiß noch nicht, daß Du Dir solche Diät auferlegen müßtest.”

Doch auch jetzt blieb er fest.

„Besser ist besser,” sagte er, „mit dem Magen ist nicht zu spaßen.”

Da wurde sie energisch.

„Aber wenn Du Dich wirklich nicht wohl fühlst, lieber Fritz, so lassen wir doch den Arzt holen?”

Und er, der dies heimlich schon längst geplant hatte, sich bisher aber nur noch nicht so recht entschließen konnte, er sagte nun ein wenig kleinlaut: „Ja, lasse ihn nur kommen!”

Da atmete die kleine Frau heimlich wie befreit auf.

*           *           *

Als der Arzt kam, hatte Fritz gerade eine geschäftliche Besprechung, und so empfing ihn Frau Lucie allein.

„Nun, was fehlt denn Ihrem Mann eigentlich?” fragte der Arzt, als er der kleinen Frau galant die Hand küßte.

Sie lächelte schelmisch und sagte ein wenig zögernd: „Sie kennen ihn ja schon, Doktorchen.”

Der Arzt nickte lachend.

„Also hat er sich wieder etwas eingebildet?”

Lucie nickte: „Er fürchtet für seinen Magen.”

Wieder lachte der Arzt.

„Sein Magen ist aber unverwüstlich.”

„Das wird er Ihnen doch nicht glauben!”

„Nun, so werde ich ihm zur Beruhigung etwas Unschädliches verschreiben!”

Da lächelte Frau Lucie ihr liebliches Lächeln und sagte: „Vielleicht wäre es besser, Sie verordneten ihm eine kleine Reise — so eine, die auch mir nichts schaden könnte!”

„Ach so” — weiter sagte er nichts, aber er sah sie an und lachte; und endlich fragte er mit ganz leichtem Sarkasmus: „Dann kennen Sie wohl gewiß auch schon den Badeort, der — Ihrem Manne dienlich sein dürfte?”

Und mit leichtem Erröthen antwortete sie: „Ich denke, daß Waldberg uns gut bekommen wird.”

„Nun, dann werde ich wohl dasselbe denken müssen.” Lachend küßte er ihr die Hand.

Eine Viertelstunde später verordnete der Arzt Herrn Fritz Holm einen sechswöchentlichen Aufenthalt in Bad Waldberg.

*           *           *

Nun sitzt das Ehepaar wohlbehalten in dem idyllischen Badeort.

Fritz tut genau, was der Arzt ihm verordnet hat; er lebt diät und regelmäßig, trinkt den Brunnen und geht viel spazieren, — und sein Appetit wird von Tag zu Tag besser, so daß er nach und nach seine alte Eßlust wiederfindet.

Und Frau Lucie thut, was sie als gute Frau ihrem Manne schuldig ist — sie pflegt ihn treu und brav; zwischendurch hat sie aber doch noch Zeit und Gelegenheit genug, auf der Kurpromenade und zu den Concerten alle ihre reizenden neuen Roben zu zeigen, so daß sie voll auf ihre Kosten kommt!

Eines Tages bekam sie einen Brief von der Freundin Ella, die noch immer klagend daheim saß. „Was soll ich bloß thun? Gib mir doch einen guten Rath!” bat sie flehendlichst.

Da konnte Lucie ihr gutes Herz nicht mehr länger unterdrücken und sie gab der Freundin einen guten Rath!


Ihr Trick.

Humoreske von Paul Bliß
in: „Lienzer Zeitung” vom 20.10.1900

Frau Melanie war Witwe, war jung, hübsch, liebenswürdig und gebildet, und hatte außerdem noch viel Geld. — Also richteten sich die Augen aller heiratsfähigen Männer auf sie.

Aber die kluge, kleine Frau wußte das sehr gut, und deshalb war sie mit ihren Liebenswürdigkeiten vorsichtig, damit keiner der vielen Anbeter sich vor dem andern einer Bevorzugung rühmen konnte.

Eines Tages fragte Frau Emmy, ihre Freundin, sie: „Warum, liebe Melanie, heiraten Sie nicht wieder? An Bewerbern fehlt es Ihnen doch wahrlich nicht.”

„Im Gegenteil,” antwortete Frau Melanie heiter, „es sind zu viel Freier da, so daß mir die Wahl schwer wird.”

„Oh, also doch Heiratsgedanken?”

„Warum nicht! Wenn der Rechte kommt!”

„Der Rechte? Darf man erfahren, wer —?”

Die kleine Frau unterbrach sie lachend und rief: „Noch weiß ich es ja selber nicht!”

„Sie wollen uns gewiß überraschen!”

„In der That, ich weiß es selber noch nicht; ich habe drei Herren, die mir am besten gefallen, auf die engere Wahl gestellt; wer von diesen Dreien mir der Rechte zu sein scheint und die Probe besteht, dem reiche ich feierlichst meine Hand und meinen — Geldschrankschlüssel.”

„Eine Probe soll er bestehen?”

„Gewiß, meine Liebe! Ich habe einen Trick, der mir das wahre Wesen der Männer enthüllt.”

„Köstlich! Und worin besteht er?”

„Das sage ich Ihnen, wenn ich glücklich unter die Haube gekommen bin. Also bis dahin Geduld.”

Lächelnd nahmen sie Abschied von einander.

Gegen Mittag kam Doktor Müller, Nummer eins der auf engere Wahl gestellten Freier.

„Meine Gnädigste, ich bin entzückt, Sie so wohlauf zu sehen! Keine Spur mehr von der letzten Influenza!” Galant küßte er ihre Hand.

Und heiter entgegnete sie: „Ein Kompliment Ihrer eigenen Kunst, lieber Freund, Sie sind ja mein Hausarzt.” Sie setzte sich und bot auch ihm einen Stuhl an.

„Wissen Sie das Neueste, gnädige Frau?” sagte er, sich setzend. „Unser dicker Landgerichtsrat hat sich verlobt.”

„Das Unglück schreitet schnell,” meinte sie launig und zuckte mit den Schultern, „sprechen wir lieber von etwas anderem.”

„Aber warum denn? Das Thema ist ja so nett.”

„Doktor!” Drohend lächelte sie ihm zu. „Ich weiß, wo hinaus das soll!”

„Nun ja, das soll es auch! Sie wissen, Frau Melanie, daß ich Sie liebe, — warum wollen Sie meinen Antrag nicht hören?”

„Weil ich Sie vor einer Enttäuschung bewahren möchte.”

„Sie glauben nicht an meine Liebe?”

„Warum setzen Sie mir die Pistole auf die Brust?”

„Scherzen Sie doch nicht mit so heiligen Gefühlen!”

Jetzt lachte sie laut auf und rief:

„Wenn Sie doch wüßten, wie unglaublich komisch Sie in solcher edlen Aufwallung aussehen, liebster Doktor!”

„Ach, Sie sind herzlos, sonst würden Sie jetzt nicht noch schlechte Scherze machen!” Entrüstet stand er auf.

Sie aber lachte weiter.

Nach einem Weilchen kam er wieder heran zu ihr. „Melanie, ich frage Sie ernsthaft: „Glauben Sie nicht an meine Liebe?”

„Und wenn ich es nicht thäte?”

„Dann würde ich fragen müssen, was für Gründe Sie dazu haben.”

„Und dann würde ich Ihnen darauf antworten müssen: Mein lieber Freund, ich bin kein junges Mädchen mehr, sondern eine Frau, die Erfahrungen gemacht hat, — und das Resultat meiner Erfahrungen, — ich teile das Leben des Mannes in drei Abschnitte, der erste heißt Liebe, der zweite heißt Genuß, und der dritte heißt —” Zögernd und lächelnd sah sie ihn an.

„Nun, wie heißt er?”

„Bei dem dritten Abschnitt sind Sie jetzt angelangt, lieber Freund!”

„So!? Und wie heißt er?”

„Er heißt Ruhe,”

Ein wenig peinlich berührt, sah er sie an und fragte dann: „Und Sie glauben wirklich —?”

„Ja, ich glaube wirklich! — Aber ich liebe es nicht, wenn mein Mann einen Schlafrock trägt.”

„Mit Ihnen ist ja heute nicht ernsthaft zu reden, das sehe ich wohl, also lassen wir es, bis Sie einmal weniger im unklaren sind.”

„Seien Sie heute mittag mein Gast.”

Ein wenig erstaunt sah er sie an.

„Vorausgesetzt, daß Sie nichts Besseres vorhaben.”

„Aber nein, ich bleibe gern!”

Das Mittagessen wurde aufgetragen, und sie saßen sich gegenüber. Er goß ihr goldhellen Rheinwein ein, und sie legte ihm von dem prachtvoll zubereiteten Fisch auf. Alles Vorhergegangene schien vergessen.

„Wie schmeckt Ihnen der Fisch?”

„Hervorragend! Ganz exquisit! Eine wahre Wohlthat für den kasteiten Magen eines Junggesellen!” Und mit wohligem Behagen aß er weiter.

„Das freut mich. Darf ich Ihnen noch ein Stückchen reichen?”

„Wenn Sie die Güte haben möchten, — — ah, so, danke! Danke verbindlichst!” Und wieder aß er weiter, ohne viel auf anderes als auf sein Mahl zu achten, so daß sie heimlich lächeln mußte.

Als zweiter Gang kamen Lammkoteletten mit jungen Gemüsen.

„Sie gestatten doch, lieber Freund, daß ich Sie bediene?” fragte sie lächelnd und nahm seinen Teller.

„Frau Melanie, Sie sind das entzückendste Wesen, das ich kenne! Auf Ihr Wohl!” Mit einem Zug leerte er sein Glas, füllte es aber gleich wieder und machte sich dann über den zweiten Gang her.

Sie nippte kaum von den Speisen, beobachtete ihn aber um so genauer. Als sie den Zeitpunkt für geeignet erachtete, begann sie: „Da Sie ein so guter Freund von mir sind, darf ich Ihnen übrigens ein Geheimnis anvertrauen.”

Er nickte ihr zu, kaute aber tapfer weiter.

„Rechtsanwalt Bachmann hat mir einen Antrag gemacht.”

„So so! Das dachte ich mir! — So ein blöder Kerl!” Er sprach das so ganz leichthin, ohne jede Erregung, aß aber ruhig weiter, bis der Teller blank war.

Inzwischen war der Braten serviert worden, von dem sie ihm ein paar tüchtige Scheiben vorlegte.

„Ah!” rief er begeistert, „Ihre Köchin versteht ihr Geschäft! Das muß ich sagen, — so einen Braten habe ich noch nicht gegessen!”

„Freut mich außerordentlich,” entgegnete sie launig, „ich werde das Gehalt meiner Köchin erhöhen, um mir dies Juwel zu erhalten.”

„Prächtig! Prächtig!” Mit vollen Backen arbeitete er weiter.

Und nun begann sie wieder, langsam und leise lauernd: „Uebrigens muß ich sagen, daß der Anwalt gar kein übler Mann ist, er hat Chic und weiß etwas aus sich zu machen, — finden Sie das nicht auch?”

Aber Doktor Müller antwortete nichts, weil er zu sehr mit dem delikaten Braten beschäftigt war.

„Oder mögen Sie ihn etwa nicht leiden?” fragte sie ruhig weiter.

”Wie? Wen?” Erstaunt sah er auf von seinem Teller. „Ach so — Sie sprachen von dem Bachmann, — pardon! — Na, es geht, ein ganz netter Mensch, bloß ein bischen sehr von sich eingenommen,” — und schnell nahm er die unterbrochene Mehlzeit wieder auf.

„Das kann ich durchaus nicht sagen, im Gegenteil, ich finde, daß er einem Frauenherzen recht gut gefährlich werden kann. — Aber darf ich Ihnen nicht noch ein wenig Braten anbieten?”

„Na ja! Geben Sie mir noch ein Stückchen, es schmeckt gar zu vortrefflich!” rief er strahlend.

Und als er wieder aß, sagte sie heiter: „Also nehmen Sie sich in acht, es ist Gefahr im Verzuge.”

Er aber verneinte nur lächelnd und kaute unbesorgt weiter, bis der Nachtisch serviert wurde.

Nach dem Diner nahm man den Kaffee, und als er sich behaglich eine Cigarre anbrannte, sagte sie, die im Schaukelstuhle lag: „Nun kann ich Ihnen übrigens auch gleich eine endgültige Antwort geben, mein Freund.”

Fragend sah er sie an.

Und lächelnd sagte sie: „Ich habe bei Tisch die genaue Beobachtung gemacht, daß Sie sich schon sehr stark in dem bewußten dritten Abschnitt befinden, und deshalb bedaure ich außerordentlich, Ihren Antrag ablehnen zu müssen.”

„Scherzen Sie doch nicht immerzu darüber.”

„O nein, diesmal ist es mir ernst.”

„Aber warum denn jetzt auf einmal der schnelle Entschluß?” fragte er beängstigt.

„Weil Sie für einen Liebhaber einen zu guten Appetit haben, lieber Freund; ich sprach Ihnen von einem Nebenbuhler, Sie aber dachten nur an Ihren Magen; — wenn das schon vor der Ehe geschieht, was erst soll dann noch später kommen?”

Er wollte noch zu seinem Besten reden, um sich wenigstens einen ehrenvollen Abgang zu schaffen, aber auch das mißlang, denn er redete sich immer tiefer hinein, bis es zuletzt nur die eine Möglichkeit gab, schnell zu verschwinden.

Als er fort war, eilte sie an den Schreibtisch, lud den Rechtsanwalt Bachmann ein, sie heute abend zum Thee zu besuchen und ließ den Brief sofort besorgen.

Jetzt wollte sie an dem zweiten Freier ihren Trick probieren, wie ein Kind freute sie sich darauf!

Pünktlich um sieben Uhr erschien der Rechtsanwalt, ein eleganter, schneidiger Herr.

„Meine Gnädige, Ihre Einladung hat mich riesig gefreut!” — Mit ritterlicher Eleganz begrüßte er sie und küßte ihr die Hand.

Sie lächelte nur fein und hieß ihn willkommen.

Als sie fünf Minuten später am Kamin saßen und auf dem Eßtisch der Theekessel summte, leitete er das Gespräch von den alltäglichen Neuigkeiten geschickt zu seinen eigenen Interessen über, indem er — genau wie der Doktor — fragte: „Wissen Sie übrigens schon, daß sich Landgerichtsrat Weber verlobt hat?”

Frau Melanie lächelte, nickte und sagte: „Doktor Müller erzählte es mir.”

Plötzlich fragte er: „Warum, meine gnädigste Frau, heiraten auch Sie nicht wieder?”

„Meinen Sie, daß ich mich beeilen müßte, um den rechten Augenblick nicht zu verfehlen?” Heiter sah sie ihn an.

Auch er wurde lustig. „Wenn ich das auch nicht so wörtlich meine, wie Sie es da sagen, so denke ich doch, daß diese Frage immerhin so viel Wichtigkeit für Sie hat, daß wir sie ernsthaft diskutieren können.”

Einen Augenblick sah sie ihn an. Sie ärgerte sich, daß er ihr — wenn auch mit heiterem Gesicht — diese Lektion geben konnte, dann aber fand sie ihre Ruhe wieder und sagte mit ganz leiser Ironie: „Sie vergessen, lieber Freund, daß ich kein junges Mädchen mehr bin; — vor sechs Jahren, als ich heiratete, dachte ich ähnlich so wie Sie, — jetzt, nun ich die Ehe und das Leben kenne, jetzt denke ich anders darüber. Ich halte die Ehe für ein Lotteriespiel — der Vergleich mag alt sein, aber er ist treffend, — einmal bin ich in diesem Spiel mit keinem großen Gewinn herausgekommen, — weshalb sollte ich also einen zweiten Versuch machen?”

„Weil man dem Glück die Hand bieten muß, — um bei Ihrem Gleichnis zu bleiben,” sagte er, noch immer lächelnd.

„Auch der Begriff von Glück ist sehr verschieden, — ich zum Beispiel lebe ganz glücklich so, wie ich mir mein Leben jetzt eingerichtet habe.”

„Mit anderen Worten, Sie denken nicht wieder an eine Heirat, nicht wahr?”

„Das will ich denn doch noch nicht so bestimmt gesagt haben,” entgegnete sie zögernd und schaute in die Kaminglut, „wenn der Rechte kommt, dann bin ich vielleicht doch nicht abgeneigt, über seinen Antrag nachzudenken.”

Er räusperte sich ein wenig, holte tief Atem und begann: „Nun, Frau Melanie, könnten Sie in mir nicht den Rechten sehen?”

Noch immer blickte sie in die Kaminglut und antwortete nichts.

„Sie müssen es doch längst gemerkt haben, daß ich Ihnen mehr als bloße Freundschaft entgegenbringe, Frau Melanie.”

Jetzt sah sie ihn an und nickte. „Ich weiß, daß Sie sich mit dem Gedanken tragen, mir einen Antrag zu machen, Sie sehen also, ich war darauf gefaßt, heute etwas derartiges von Ihnen zu hören.”

Eine Pause entstand. Beide sahen sich an.

Endlich fragte er: „Und was antworten Sie mir, Frau Melanie?”

Sie zuckte mit den Schultern, stand auf und sagte: „Kommen Sie zu Tisch, lassen Sie uns erst ein wenig essen.”

Er folgte ihr, aber er ärgerte sich, daß sie ihn so zappeln ließ, denn er hatte geglaubt, hier ein ganz leichtes Spiel zu haben, nun sah er sich enttäuscht, und deshalb vermochte er es nur schwer, seinen Unwillen zu unterdrücken.

Als sie bei Tisch sich gegenüber saßen, bemerkte sie, daß er sich geärgert hatte. Aber ganz gleichmütig schob sie ihm die Schale mit den Kaviarbrötchen hin und bat ihn, zuzulangen.

Er aber dankte. „Wenn Sie gestatten, nehme ich nur ein wenig Thee,” sagte er nur.

„Aber nein!” bat sie. „Das dürfen Sie mir nicht anthun! Geben Sie mir mal Ihren Teller her, — so, versuchen Sie erst mal diese Kaviarschnitte, — so, und dann ein wenig von der Pastete, — auch ein Stückchen von der Ente, so — und dann werden Sie schon selber zulangen, wenn es Ihnen schmeckt.”

Lächelnd besah er Teller, den Sie ihm so appetitlich angerichtet hatte. „Alle Achtung! Sie trauen mir einen ganz gesegneten Appetit zu.”

„Aber ich fühle mich gekränkt, wenn Sie nichts essen wollen bei mir! So etwas bin ich gar nicht gewöhnt!” Schelmisch lächelnd sah sie ihn an.

Und so begannen sie zu essen, und es zeigte sich, daß auch er durchaus kein Kostverächter von solchen Leckerbissen war.

Plötzlich begann sie: „Uebrigens bin ich Ihnen Offenheit schuldig, lieber Rechtsanwalt.”

Fragend sah er sie an. „Kennen Sie Doktor Müller?”

„O ja,” sagte er nur, wurde aber aufmerksam.

„Kennen Sie ihn genauer?”

„Auch das.”

„Er ist doch ein recht guter, braver Mensch, nicht wahr?”

„O ja” — und er legte Messer und Gabel fort.

„Ich halte Doktor Müller für einen prächtigen Mann, dem man sich wohl anvertrauen könnte, — aber bitte, nehmen Sie doch noch ein wenig, bitte!”

„Danke, danke,” sagte er nur.

„Ein Stückchen Pastete, — etwas Salat.”

„Ich muß wirklich danken,” sagte er jetzt, fast zu energisch, so daß sie ihn scheinbar erstaunt ansah.

„Aber was fehlt Ihnen denn, mein lieber Freund? Sie sind ja plötzlich ganz erregt!”

„O, es ist wohl nur der Thee, ich habe ihn wohl etwas zu schnell getrunken” — mit Gewalt nahm er sich zusammen und fuhr dann ruhiger fort — „übrigens, woher kennen Sie denn den Doktor so genau, wenn die Frage gestattet ist?”

Er interessierte mich.”

„So so.”

„Und ich wollte gern wissen, ob ich mich in meinen Beobachtungen nicht getäuscht hatte.”

„Und deshalb ließen Sie mich kommen!?” Mit schlecht verstecktem Aerger sah er sie an.

„Ja,” sagte sie mutig.

Schweigen.

Ganz harmlos, als ob nichts geschehen wäre, saß sie da, und knabberte an einem Kakes, während er nervös über seine Serviette strich.

Endlich begann er mit leise vibrierender Stimme: „Also bitte, fragen Sie nur; was wünschen Sie von mir über Herrn Doktor Müller zu wissen, — wie seine Finanzen sind, oder wie viel Bier er trinkt, oder ob er sonst üble Angewohnheiten hat? — Fragen Sie nur ganz frei heraus, wenn ich kann, will ich die denkbar beste Auskunft geben, denn so viel habe ich ja schon gemerkt, — der gute Doktor hat große Anwartschaft, der bewußte „Rechte” zu sein.”

Lächelnd sah sie ihn an. „Lieber Freund, Sie sind eifersüchtig, und das ist keine gute Eigenschaft.”

Ich bedaure außerordentlich, daß ich Ihnen mißfalle, gnädige Frau, und bin überzeugt, daß meine Chancen nunmehr sehr schlecht stehen,” sagte er mit ironischem Lächeln; „aber ich kann mir nicht helfen, das ist eben mein Naturell.” — Damit erhob er sich.

„Dann beneide ich diejenige, die einmal Ihre Frau wird, gewiß nicht.” — Auch sie stand auf, verletzt durch seine Rücksichtslosigkeit.

„Sie gestatten wohl, daß ich mich empfehle, gnädige Frau?”

„Herr Rechtsanwalt!”

Mit stummem Gruß verschwand er.

Als sie allein war, hatte sie den Aerger bereits überwunden und lachte nun fröhlich auf, — das fehlte ihr auch gerade noch! Deshalb noch einmal ins Ehejoch gehen! Der erste ein Phlegmatiker, dem sein Magen über alles ging, und der Zweite ein eifersüchtiger, selbstherrlicher Narr, der seinem Willen alles unterordnen würde, — ach nein! Ehe man solche Ehe einginge, lieber Witwe bleiben bis an das Lebensende!

Aber da war ja noch der dritte auf engere Wahl gestellte Freier! Gut, versuche man auch das Letzte noch. Und sie setzte sich nieder und lud den Direktor Schmelzer für den nächsten Tag zum Diner, um auch an ihm ihren Trick zu probieren.

Direktor Schmelzer, ein Mann von fünfunddreißig Jahren, war Vorstand einer großen Versicherungs­gesellschaft; früher war er Offizier gewesen, ein schneidiger Soldat und ein toller Reiter, der für jeden ulkigen Streich zu haben war, dann aber mußte er Schulden halber den Dienst quittieren und sich eine bürgerliche Existenz gründen; jetzt hatte er sich mit Hilfe eines Onkels so weit arrangiert, daß seine Zukunft gesichert war.

Am andern Tage erschien dieser Dritte bei Frau Melanie, die ihn freundlicher empfing, als die zwei ersten Freier.

„Nun, meine Gnädige,” sagte er mit leichtem Sarkasmus, „was verschafft mir denn die Ehre, wieder mal Ihr Gast sein zu dürfen?”

„Geschäftliche Fragen, lieber Freund, über die ich mich mit Ihnen beraten möchte.”

„Oh, wollen Sie Ihr kostbares Leben versichern?”

Lächelnd verneinte sie. „Sie überschätzen den Wert meines Daseins ganz entschieden.”

„Ganz gewiß nicht! Für mich hat es einen unbezahlbaren Wert!”

„Für Sie? Und das soll ich Ihnen glauben?”

„Weshalb möchten Sie es denn nicht glauben?”

„Weil ich Ihnen gar nicht so viel Geduld zutraue, daß Sie sich die Zeit nehmen, meinen Daseinswert zu prüfen.”

„Den versteckten Vorwurf fühle ich ganz deutlich.”

„Aber ich will Ihnen gar keinen Vorwurf machen, im Gegenteil, ich kann es recht gut verstehen, wenn ein Mann sein Leben genießt und das Gute nimmt, wo er es findet.”

Er aber machte ein würdevolles Gesicht und sprach: „Das war einmal, das liegt weit hinter mir, jetzt bin ich schon lange vernünftig geworden, so vernünftig, daß ich sogar ganz ernsthaft an —”

„An eine Heirat denke,” vollendete sie schnell.

„Wie Sie doch alles gleich erraten!” neckte er sie.

„Damit imponieren Sie mir aber gar nicht, lieber Freund, mir waren Sie viel lieber, so lange Sie nicht ans Heiraten dachten,” rief sie lustig.

„Erlauben Sie, bitte, gedacht habe ich ans Heiraten schon, so lange ich hier bei Ihnen ein- und ausgehe, nur habe ich bisher nie davon gesprochen.”

„O, Sie schlechter Mensch!” heuchelte sie. „Das verdient, energisch bestraft zu werden,” und drohend erhob sie die Hand.

„Ich strafe mich sofort selber,” rief er heiter, nahm ihre Hand und bedeckte sie mit vielen innigen Küssen.

„Man kann Ihnen wirklich nicht zürnen,” rief sie lachend.

„Das soll man auch nicht!” enrgegnete er mit angenommener Würde, indem er ihre Hand streichelte, „im Gegenteil, man soll mich recht gut und lieb behandeln, und wenn ich jetzt sage: Frau Melanie, ich habe Sie recht von Herzen lieb, dann soll man mir antworten: ich Dich auch!” — Und wieder küßte er die kleine, weiße Hand.

„Sie sind heute besonders gut bei Laune,” rief sie und entzog ihm schnell die Hand. — Inzwischen war das Essen fertig.

„Kommen Sie zu Tisch, Sie unartiger Mensch.”

Belustigt reichte er ihr den Arm. „Ich verspreche Ihnen hier reuevoll, daß ich mich bessern werde.”

„Ueber die Brücke würde ich gewiß nicht gehen.”

„Sie können es dennoch — als angehender Ehemann muß ich ja vernünftig werden.”

Als sie sich gegenüber saßen, goß er ihr Wein ein, während sie ihm die Speisen auflegte.

„Schmeckt es Ihnen?” fragte sie, nachdem sie ihn ein Weilchen beobachtet hatte.

„Von Ihrer Hand serviert, schmeckt mir alles.”

„Ich liebe keine Komplimente.”

„Ich auch nicht.”

„Weshalb machen Sie sie mir?”

„Ich sprach die Wahrheit.”

Sie lächelte, schüttelte den kopf und sagte: „Was soll man mit Ihnen anfangen!”

„Man soll mich heiraten,” entgegnete er ganz ruhig.

„Wissen Sie auch, daß ich schon zwei Anträge bekommen habe?”

„Nur zwei? Ich dachte, es wär mindestens ein Dutzend!”

„Und darüber beunruhigen Sie sich gar nicht ein bischen?”

„Nein. Weshalb denn?”

„Nun, ich hätte doch einen Antrag annehmen können.”

Und heiter verneinte er: „Ich habe keinen Gegner zu fürchten.”

„Na, ein bischen Selbstbewußtsein haben Sie ja, das muß man Ihnen lassen!”

„Ohne das kommt man auch nicht weiter.”

Sie sahen sich an. Er lächelte.

Sie aber wurde ein wenig unsicher und senkte den Blick.

Nach einem Weilchen fragte sie: „Aber warum essen Sie denn gar nicht mehr? Es schmeckt Ihnen wohl nicht?”

„O danke, es schmeckt vortrefflich, aber das Essen spielt nicht die wichtigste Rolle in meinem Dasein.” Belustigt sah er sie an.

Sie aber erstaunte, — er war der erste Mann, der ihr nicht ins Garn ging, hier verfehlte ihr Trick seine Wirkung.

Nach Tisch sprachen sie von den Geschäften. Sie wollte einige Papiere kaufen und erbat seinen Rat. Jetzt war er ganz der ernste Kaufmann. Sie aber merkte, daß sie ihm gegenüber nicht mehr den harmlosen Plauderton anschlagen konnte, daß sie ihre Ruhe und Sicherheit nicht mehr wie sonst in der Gewalt hatte, und deshalb wurde sie kleinlaut und nervös.

Fehlt Ihnen etwas, Frau Melanie?” fragte er besorgt, als er ihre Blässe bemerkte.

„Nein, danke, es ist nichts” — aber sie ließ sich doch in einen Sessel fallen und schloß eine Sekunde lang die Augen.

Langsam trat er hinter ihren Stuhl, fuhr mit der Hand leise streichelnd über ihr Haar und nannte ganz leise und bittend ihren Namen.

Da schlug sie die Augen auf und sah ihn an.

Und da sank er vor ihr nieder, zog sie an sich und gab ihr den ersten heißen Kuß. — Und dann schlang sie ihre Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuß.

*           *           *

Ein Vierteljahr später waren sie Mann und Frau.

Als sie von der Hochzeitsreise zurückkehrten und in ihr trauliches Heim einzogen, fanden sich auch einige ihrer alten Freunde und Verehrer ein.

Frau Melanie begrüßte sie freundlich, denn sie war noch zu sehr daran gewöhnt, daß man ihr von allen Seiten den Hof machte, und sie dachte, daß dies auch jetzt noch so bleiben würde. Ihr Mann dagegen behandelte den größten Teil der Freunde nur sehr lauwarm, so daß viele von ihnen sehr bald wieder verschwanden.

„Was hast Du denn gegen die Menschen, daß Du so kühl bist?” fragte sie ihn erstaunt.

„Gar nichts,” sagte er heiter, aber bestimmt, „ich habe gar nichts gegen sie, aber ich mag es nicht, daß meine Frau sich von jedem Hansnarr den Hof machen läßt,” — damit ließ er sie stehen.

Erstaunt sah sie ihm nach. So hatte sie ihn ja noch nie gesehen! Sie wußte gar nicht, was sie davon denken sollte. Vor der Ehe war er doch ganz anders gewesen.

Bei Tisch trafen sie sich wieder.

Als sie sich gegenüber saßen, fing sie wieder davon an, weshalb er ihre ehemaligen Freunde so kurz behandelt habe.

Und da entgegnete er: „Aber weshalb wollen wir uns denn die Freude an dem guten Mittagessen verderben um der fremden Leute willen? Das hier ist doch eine viel wichtigere Beschäftigung!” — Und dabei aß er tapfer darauf los und überließ sie ihren Betrachtungen. Und wieder sah sie ihn erstaunt an. Zum zweitenmal machte sie eine neue Entdeckung an ihm, eine Entdeckung, die ihr denn doch zu denken gab.

Und wie nun die Tage so dahingingen, kam sie nach und nach dahinter, daß ihr Mann ganz anders war, als er sich ihr vor der Ehe gezeigt hatte: erstens war er eifersüchtig und setzte seinen Willen stets durch, dann aber war er auch ein Freund von guter Küche, so daß sie fast immer zu thun hatte, für seinen verwöhnten Gaumen Leckerbissen zu schaffen — also gerade die beiden Eigenschaften, auf die hin sie ihn damals geprüft hatte, gerade die hatte auch er! Und was noch schlimmer war, — ihr Mann hatte diese beiden Laster, während jeder der beiden anderen Freier doch nur einen dieser Fehler an sich hatte!

Da war sie ja glänzend hineingelegt worden!

Sie ärgerte sich, schämte sich aber, ihre Niederlage einzugestehen, und ertrug ihr Schicksal, wennschon es ihr auch nicht leicht wurde, mit Würde und echt weiblicher Geduld.

Als dann aber ein Jahr später ein kleiner, blonder Stammhalter ankam, da hatte sie nichts mehr zu leiden; nun war der Erbe die wichtigste Person im Hause, dem zuliebe jeder ein Opfer brachte. — Und von dem Tage an grollte sie auch ihrem Manne nicht mehr, sondern sie liebte ihn als den Vater ihres Kindes, dem sie alles zu Gefallen that, was er auch von ihr verlangen mochte.

Als die gute Freundin Emma sie aber einmal fragte: „Sie wollten mir doch immer mal Ihren Trick zum besten geben?” — da antwortete sie: „Ach, das kommt doch immer alles ganz anders, als wir es uns gedacht haben.”

Ihr Trick.

Humoreske von Paul Bliß
in: „Baltische Post” vom 21.03., 22.03. u. 23.03.1906

Frau Melanie war Witwe, war jung, hübsch, liebenswürdig und gebildet, und hatte außerdem noch viel Geld.

Also richteten sich die Augen aller heiratsfähigen Männer auf sie.

Aber die kluge, kleine Frau wußte das sehr gut, und deshalb war sie mit ihren Liebenswürdigkeiten vorsichtig, damit keiner der vielen Anbeter sich vor dem andern einer Bevorzugung rühmen konnte.

Eines Tages fragte Frau Emmy, ihre Freundin, sie: „Warum, liebe Melanie, heiraten Sie nicht wieder? An Bewerbern fehlt es Ihnen doch wahrlich nicht.”

„Im Gegenteil,” antwortete Frau Melanie heiter, „es sind zu viel Freier da, sodaß mir die Wahl schwer wird.”

„Oh, also doch Heiratsgedanken?”

„Warum nicht! Wenn der Rechte kommt!”

„Der Rechte? Darf man erfahren, wer —?”

Die kleine Frau unterbrach sie lachend und rief: „Noch weiß ich es ja selber nicht!”

„Sie wollen uns gewiß überraschen!”

„In der That, ich weiß es selber noch nicht; ich habe drei Herren, die mir am besten gefallen, auf die engere Wahl gestellt; wer von diesen Dreien mir der Rechte zu sein scheint und die Probe besteht, dem reiche ich feierlichst meine Hand und meinen — Geldschrankschlüssel.”

„Eine Probe soll er bestehen?”

„Gewiß, meine Liebe! Ich habe einen Trick, der mir das wahre Wesen der Männer enthüllt.”

„Köstlich! Und worin besteht er?”

„Das sage ich Ihnen, wenn ich glücklich unter die Haube gekommen bin. Also bis dahin Geduld.”

Lächelnd nahmen sie Abschied von einander.

Gegen Mittag kam Doktor Müller, Nummer eins der auf engere Wahl gestellten Freier.

„Meine Gnädigste, ich bin entzückt, Sie so wohlauf zu sehen! Keine Spur mehr von der letzten Influenza!” Galant küßte er ihr die Hand.

Und heiter entgegnete sie: „Ein Kompliment Ihrer eigenen Kunst, lieber Freund, Sie sind ja mein Hausarzt.” Sie setzte sich und bot auch ihm einen Stuhl an.

„Wissen Sie das Neueste, gnädige Frau?” sagte er, sich setzend. „Unser dicker Landgerichtsrat hat sich verlobt.”

„Das Unglück schreitet schnell,” meinte sie launig und zuckte mit den Schultern, „sprechen wir lieber von etwas anderem.”

„Aber warum denn? Das Thema ist ja so nett.”

„Doktor!” Drohend lächelte sie ihm zu. „Ich weiß, wo hinaus das soll!”

„Nun ja, das soll es auch! Sie wissen, Frau Melanie, daß ich Sie liebe, — warum wollen Sie meinen Antrag nicht hören?”

„Weil ich Sie vor einer Enttäuschung bewahren möchte.”

„Sie glauben nicht an meine Liebe?”

„Warum setzen Sie mir die Pistole auf die Brust?”

„Scherzen Sie doch nicht mit so heiligen Gefühlen!”

Jetzt lachte sie laut auf und rief: „Wenn Sie doch wüßten, wie unglaublich komisch Sie in solcher edlen Aufwallung aussehen, liebster Doktor!”

„Ach, Sie sind herzlos, sonst würden Sie jetzt nicht schlechte Scherze machen!” Entrüstet stand er auf.

Sie aber lachte weiter.

Nach einem Weilchen kam er wieder heran zu ihr.

„Melanie, ich frage Sie ernsthaft: Glauben Sie nicht an meine Liebe?”

„Und wenn ich es nicht thäte?”

„Dann würde ich fragen müssen, was für Gründe Sie dazu haben.”

„Und dann würde ich Ihnen darauf antworten müssen: Mein lieber Freund, ich bin kein junges Mädchen mehr, sondern eine Frau, die Erfahrungen gemacht hat, — und das Resumee meiner Erfahrungen, — ich teile das Leben des Mannes in drei Abschnitte, der erste heißt Liebe, der zweite heißt Genuß, und der dritte heißt —” Zögernd und lächelnd sah sie ihn an.

„Nun, wie heißt er?”

„Bei dem dritten Abschnitt sind Sie jetzt angelangt, lieber Freund!”

„So!? Und wie heißt er?”

„Er heißt Ruhe,”

Ein wenig peinlich berührt, sah er sie an und fragte dann: „Und Sie glauben wirklich —?”

„Ja, ich glaube wirklich! — Aber ich liebe es nicht, wenn mein Mann einen Schlafrock trägt.”

„Mit Ihnen ist ja heute nicht ernsthaft zu reden, das sehe ich wohl, also lassen wir es, bis Sie einmal weniger in Ulklaune sind.”

Er wollte gehen. Sie aber bat ihn, noch zu bleiben.

„Seien Sie heute mittag mein Gast.”

Ein wenig erstaunt sah er sie an.

„Vorausgesetzt, daß Sie nichts Besseres vorhaben.”

„Aber nein, ich bleibe gern!”

Das Mittagessen wurde aufgetragen, und sie saßen sich gegenüber. Er goß ihr goldhellen Rheinwein ein, und sie legte ihm von dem prachtvoll zubereiteten Fisch auf. Alles Vorhergegangene schien vergessen.

„Wie schmeckt Ihnen der Fisch?”

„Hervorragend! Ganz exquisit! Eine wahre Wohlthat für den kasteiten Magen eines Junggesellen!” Und mit wohligem Behagen aß er weiter.

„Das freut mich. Darf ich Ihnen noch ein Stückchen reichen?”

„Wenn Sie die Güte haben möchten, — — ah, so, danke! Danke verbindlichst!” Und wieder aß er weiter, ohne viel auf anderes als auf sein Mahl zu achten, so daß sie heimlich lächeln mußte.

Als zweiter Gang kamen Lammkoteletten mit jungen Gemüsen.

„Sie gestatten doch, lieber Freund, daß ich Sie bediene?” fragte sie lächelnd und nahm seinen Teller.

„Frau Melanie, Sie sind das entzückendste Wesen, das ich kenne! Auf Ihr Wohl!” Mit Elan leerte er sein Glas, füllte es aber gleich wieder und machte sich dann über den zweiten Gang her.

Sie nippte kaum von den Speisen, beobachtete ihn aber um so genauer. Als sie den Zeitpunkt für geeignet erachtete, begann sie: „Da Sie ein so guter Freund von mir sind, darf ich Ihnen übrigens ein Geheimnis anvertrauen.”

Er nickte ihr zu, kaute aber tapfer weiter.

„Rechtsanwalt Bachmann hat mir einen Antrag gemacht.”

„So so! Das dachte ich mir! — So ein blöder Kerl!” Er sprach das so ganz leichthin, ohne jede Erregung, aß aber ruhig weiter, bis der Teller blank war.

Inzwischen war der Braten serviert worden, von dem sie ihm ein paar tüchtige Scheiben vorlegte.

„Ah!” rief er begeistert, „Ihre Köchin versteht ihr Geschäft! Das muß ich sagen, — so einen Braten habe ich noch nicht gegessen!”

„Freut mich außerordentlich,” entgegnete sie launig, „ich werde das Gehalt meiner Köchin erhöhen, um mir dies Juwel zu erhalten.”

„Prächtig! Prächtig!” Mit vollen Backen arbeitete er weiter.

Und nun begann sie wieder, langsam und leise lauernd: „Uebrigens muß ich sagen, daß der Anwalt gar kein übler Mann ist, er hat Chic und weiß etwas aus sich zu machen, — finden Sie das nicht auch?”

Aber Doktor Müller antwortete nichts, weil er zu sehr mit dem delikaten Braten beschäftigt war.

„Oder mögen Sie ihn etwa nicht leiden?” fragte sie ruhig weiter.

”Wie? Wen?” Erstaunt sah er auf von seinem Teller. „Ach so — Sie sprachen von dem Bachmann, — pardon! — Na, es geht, ein ganz netter Mensch, bloß ein bischen sehr von sich eingenommen,” — und schnell nahm er die unterbrochene Mehlzeit wieder auf.

„Das kann ich durchaus nicht sagen, im Gegenteil, ich finde, daß er einem Frauenherzen recht gut gefährlich werden kann. — Aber darf ich Ihnen nicht noch ein wenig Braten anbieten?”

„Na ja! Geben Sie mir noch ein Stückchen, es schmeckt gar zu vortrefflich!” rief er strahlend.

Und als er wieder aß, sagte sie heiter: „Also nehmen Sie sich in acht, es ist Gefahr im Verzuge.”

Er aber verneinte nur lächelnd und kaute unbesorgt weiter, bis der Nachtisch serviert wurde.

Nach dem Diner nahm man den Kaffee, und als er sich behaglich eine Zigarre anbrannte, sagte sie, die im Schaukelstuhl lag: „Nun kann ich Ihnen übrigens auch gleich eine endgiltige Antwort geben, mon ami.”

Fragend sah er sie an.

Und lächelnd sagte sie: „Ich habe bei Tisch die genaue Beobachtung gemacht, daß Sie sich schon sehr stark in dem bewußten dritten Abschnitt befinden, und deshalb bedaure ich außerordentlich, Ihren Antrag ablehnen zu müssen.”

„Scherzen Sie doch nicht immerzu darüber.”

„O nein, diesmal ist es mir Ernst.”

„Aber warum denn jetzt auf einmal der schnelle Entschluß?” fragte er beängstigt.

„Weil Sie für einen Liebhaber einen zu guten Appetit haben, lieber Freund; ich sprach Ihnen von einem Nebenbuhler, Sie aber dachten nur an Ihren Magen; — wenn das schon vor der Ehe geschieht, was erst soll dann noch später kommen?”

Er wollte noch zu seinem Besten reden, um sich wenigstens einen ehrenvollen Abgang zu schaffen, aber auch das mißlang, denn er redete sich immer tiefer hinein, bis es zuletzt nur die eine Möglichkeit gab, schnell zu verschwinden.

Als er fort war, eilte sie an den Schreibtisch, lud den Rechtsanwalt Bachmann ein, sie heute abend zum Thee zu besuchen und ließ den Brief sofort besorgen.

Jetzt wollte sie an dem zweiten Freier ihren Trick probieren, wie ein Kind freute sie sich darauf!

Pünktlich um sieben Uhr erschien der Rechtsanwalt, ein eleganter, schneidiger Herr.

„Meine Gnädige, Ihre Einladung hat mich riesig gefreut!” — Mit ritterlicher Eleganz begrüßte er sie und küßte ihr die Hand.

Sie lächelte nur fein und hieß ihn willkommen.

Als sie fünf Minuten später am Kamin saßen und auf dem Eßtisch der Theekessel summte, leitete er das Gespräch von den alltäglichen Neuigkeiten geschickt zu seinen eigenen Interessen über, indem er — genau wie der Doktor — fragte: „Wissen Sie übrigens schon, daß sich Landgerichtsrat Weber verlobt hat?”

Frau Melanie lächelte, nickte und sagte: „Doktor Müller erzählte es mir.”

Plötzlich fragte er: „Warum, meine gnädigste Frau, heiraten auch Sie nicht wieder?”

„Meinen Sie, daß ich mich beeilen müßte, um den rechten Augenblick nicht zu verfehlen?” Heiter sah sie ihn an.

Auch er wurde lustig. „Wenn ich das auch nicht so wörtlich meine, wie Sie es da sagen, so denke ich doch, daß diese Frage immerhin so viel Wichtigkeit für Sie hat, daß wir sie ernsthaft diskutieren können.”

Einen Augenblick sah sie ihn an. Sie ärgerte sich, daß er ihr — wenn auch mit heiterem Gesicht — diese Lektion geben konnte, dann aber fand sie ihre Ruhe wieder und sagte mit ganz leiser Ironie: „Sie vergessen, lieber Freund, daß ich kein junges Mädchen mehr bin; — vor sechs Jahren, als ich heiratete, dachte ich ähnlich so wie Sie, — jetzt, nun ich die Ehe und das Leben kenne, jetzt aber denke ich anders darüber. Ich halte die Ehe für ein Lotteriespiel — der Vergleich mag alt sein, aber er ist treffend, — einmal bin ich in diesem Spiel mit keinem großen Gewinn herausgekommen, — weshalb sollte ich also einen zweiten Versuch machen?”

„Weil man dem Glück die Hand bieten muß, — um bei Ihrem Gleichnis zu bleiben,” sagte er, noch immer lächelnd.

„Auch der Begriff von Glück ist verschieden, — ich zum Beispiel lebe ganz glücklich so, wie ich mir mein Leben jetzt eingerichtet habe.”

„Mit anderen Worten, Sie denken nicht wieder an eine Heirat, nicht wahr?”

„Das will ich denn doch noch nicht so bestimmt gesagt haben,” entgegnete sie zögernd und schaute in die Kaminglut, „wenn der Rechte kommt, dann bin ich vielleicht doch nicht abgeneigt, über seinen Antrag nachzudenken.”

Er räusperte sich ein wenig, holte tief Atem und begann: „Nun, Frau Melanie, könnten Sie in mir nicht den Rechten sehen?”

Noch immer blickte sie in die Kaminglut und antwortete nichts.

„Sie müssen es doch längst gemerkt haben, daß ich Ihnen mehr als bloße Freundschaft entgegenbringe, Frau Melanie.”

Jetzt sah sie ihn an und nickte. „Ich weiß, daß Sie sich mit dem Gedanken tragen, mir einen Antrag zu machen, Sie sehen also, ich war darauf gefaßt, heute etwas derartiges von Ihnen zu hören.”

Eine Pause entstand. Beide sahen sich an.

Endlich fragte er: „Und was antworten Sie mir, Frau Melanie?”

Sie zuckte mit den Schultern, stand auf und sagte: „Kommen Sie zu Tisch, lassen Sie uns erst ein wenig essen.”

Er folgte ihr, aber er ärgerte sich, daß sie ihn so zappeln ließ, denn er hatte geglaubt, hier ein ganz leichtes Spiel zu haben, nun sah er sich enttäuscht, und deshalb vermochte er es nur schwer, seinen Unwillen zu unterdrücken.

Als sie bei Tisch sich gegenüber saßen, bemerkte sie, daß er sich geärgert hatte. Aber ganz gleichmütig schob sie ihm die Schale mit den Kaviarbrötchen hin und bat ihn, zuzulangen.

Er aber dankte. „Wenn Sie gestatten, nehme ich nur ein wenig Thee,” sagte er nur.

„Aber nein!” bat sie. „Das dürfen Sie mir nicht anthun! Geben Sie mir mal Ihren Teller her, — so, versuchen Sie erst mal diese Kaviarschnitte, — so, und dann ein wenig von der Pastete, — auch ein Stückchen von der Ente, so — und dann werden Sie schon selber zulangen, wenn es Ihnen schmeckt.”

Lächelnd besah er Teller, den Sie ihm so appetitlich angerichtet hatte. „Alle Achtung! Sie trauen mir einen ganz gesegneten Appetit zu.”

„Aber ich fühle mich gekränkt, wenn Sie nichts essen wollen bei mir! So etwas bin ich gar nicht gewöhnt!” Schelmisch lächelnd sah sie ihn an.

Und so begannen sie zu essen, und es zeigte sich, daß auch er durchaus kein Kostverächter von solchen Leckerbissen war.

Plötzlich begann sie: „Uebrigens bin ich Ihnen Offenheit schuldig, lieber Rechtsanwalt.”

Fragend sah er sie an.

„Kennen Sie Doktor Müller?”

„O ja,” sagte er nur, wurde aber aufmerksam.

„Kennen Sie ihn genauer?”

„Auch das.”

„Er ist doch ein recht guter, braver Mensch, nicht wahr?”

„O ja” — und er legte Messer und Gabel fort.

„Ich halte ihn für einen prächtigen Mann, dem man sich wohl anvertrauen könnte, — aber bitte, nehmen Sie doch noch ein wenig, bitte, ja!”

„Danke, danke,” sagte er nur.

„Ein Stückchen Pastete, — oder etwas Salat.”

„Ich muß wirklich danken,” sagte er jetzt, fast zu energisch, so daß sie ihn scheinbar erstaunt ansah.

„Aber was fehlt Ihnen denn, lieber Freund? Sie sind ja plötzlich ganz erregt!”

„O, es ist wohl nur der Thee, ich habe wohl zu schnell getrunken” — mit Gewalt nahm er sich zusammen und fuhr dann ruhiger fort — „übrigens, woher kennen Sie denn den Doktor so genau, wenn die Frage gestattet ist?”

Er interessierte mich.”

„So so.”

„Und ich wollte gern wissen, ob ich mich in meinen Beobachtungen nicht getäuscht hatte.”

Oh! Und deshalb ließen Sie mich kommen!?” Mit schlecht verstecktem Aerger sah er sie an.

„Ja,” sagte sie mutig.

Schweigen.

Ganz harmlos, als ob nichts geschehen wäre, saß sie da, und knabberte an einem Kakes, während er nervös über seine Serviette strich.

Endlich begann er mit leise vibrierender Stimme: „Also bitte, fragen Sie nur; was wünschen Sie von mir über Herrn Doktor Müller zu wissen, — wie seine Finanzen sind, oder wie viel Bier er trinkt, oder ob er sonst üble Angewohnheiten hat? — Fragen Sie nur ganz frei heraus, wenn ich kann, will ich die denkbar beste Auskunft geben, denn so viel habe ich ja schon gemerkt, — der gute Doktor hat große Anwartschaft, der bewußte „Rechte” zu sein.”

Lächelnd sah sie ihn an. „Lieber Freund, Sie sind eifersüchtig, und das ist keine gute Eigenschaft.”

Ich bedaure außerordentlich, daß ich Ihnen mißfalle, gnädige Frau, und ich bin überzeugt, daß meine Chancen nunmehr sehr schlecht stehen,” sagte er mit ironischem Lächeln; „aber ich kann mir nicht helfen, das ist eben mein Naturell.” — Damit erhob er sich.

„Dann beneide ich diejenige, die einmal Ihre Frau wird, gewiß nicht.” — Auch sie stand auf, verletzt durch seine Rücksichtslosigkeit.

„Sie gestatten wohl, daß ich mich empfehle, gnädige Frau?”

„Herr Rechtsanwalt!”

Mit stummem Gruß verschwand er.

Als sie allein war, hatte sie den Aerger bereits überwunden und lachte nun fröhlich auf, — das fehlte ihr auch gerade noch! Deshalb noch einmal ins Ehejoch gehen! Der erste ein Phlegmatiker, dem sein Magen über alles ging, und der Zweite ein eifersüchtiger, selbstherrlicher Narr, der seinem Willen alles unterordnen würde, — ach nein! Ehe man solche Ehe einginge, lieber Witwe bleiben bis an das Lebensende!

Aber da war ja noch der dritte auf engere Wahl gestellte Freier! Gut, versuche man auch das Letzte noch. Und sie setzte sich nieder und lud den Direktor Schmelzer für den nächsten Tag zum Diner, um auch an ihm ihren Trick zu probieren.

Direktor Schmelzer, ein Mann von fünfunddreißig Jahren, war Vorstand einer großen Versicherungs­gesellschaft; früher war er Offizier gewesen, ein schneidiger Soldat und ein toller Reiter, der für jeden ulkigen Streich zu haben war, dann aber mußte er Schulden halber den Dienst quittieren und sich eine bürgerliche Existenz gründen; jetzt hatte er sich mit Hilfe eines Onkels so weit arrangiert, daß seine Zukunft gesichert war.

Am andern Tage erschien dieser Dritte bei Frau Melanie, die ihn freundlicher empfing, als die zwei ersten Freier.

„Nun, meine Gnädige,” sagte er mit leichtem Sarkasmus, „was verschafft mir denn die Ehre, wieder mal Ihr Gast sein zu dürfen?”

„Geschäftliche Fragen, lieber Freund, über die ich mich mit Ihnen beraten möchte.”

„Oh, wollen Sie Ihr kostbares Leben versichern?”

Lächelnd verneinte sie. „Sie überschätzen den Wert meines Daseins ganz entschieden.”

„Ganz gewiß nicht! Für mich hat es einen unbezahlbaren Wert!”

„Für Sie? Und das soll ich Ihnen glauben?”

„Weshalb möchten Sie es denn nicht glauben?”

„Weil ich Ihnen gar nicht so viel Geduld zutraue, daß Sie sich die Zeit nehmen, meinen Daseinswert zu prüfen.”

„Den versteckten Vorwurf fühle ich ganz deutlich.”

„Aber ich will Ihnen gar keinen Vorwurf machen, im Gegenteil, ich kann es recht gut verstehen, wenn ein Mann sein Leben genießt und das Gute nimmt, wo er es findet.”

Er aber machte ein würdevolles Gesicht und sprach: „Das war einmal, das liegt weit hinter mir, jetzt bin ich schon lange vernünftig geworden, so vernünftig, daß ich sogar ganz ernsthaft an —”

„An eine Heirat denke,” vollendete sie schnell.

„Wie Sie doch alles gleich erraten!” neckte er sie.

„Damit imponieren Sie mir aber gar nicht, lieber Freund, mir waren Sie viel lieber, so lange Sie nicht ans Heiraten dachten,” rief sie lustig.

„Erlauben Sie, bitte, gedacht habe ich ans Heiraten schon, so lange ich hier bei Ihnen ein- und ausgehe, nur habe ich bisher nie davon gesprochen.”

„O, Sie schlechter Mensch!” heuchelte sie. „Das verdient, energisch bestraft zu werden,” und drohend erhob sie die Hand.

„Ich strafe mich sofort selber,” rief er heiter, nahm ihre Hand und bedeckte sie mit vielen innigen Küssen.

„Man kann Ihnen wirklich nicht zürnen,” rief sie lachend.

„Das soll man auch nicht!” enrgegnete er mit angenommener Würde, indem er ihre Hand streichelte, „im Gegenteil, man soll mich recht gut und lieb behandeln, und wenn ich jetzt sage: Frau Melanie, ich habe Sie recht von Herzen lieb, dann soll man mir antworten: ich Dich auch!” — Und wieder küßte er die kleine, weiße Hand.

„Sie sind heute besonders gut bei Laune,” rief sie und entzog ihm schnell die Hand.

Inzwischen war das Essen fertig.

„Kommen Sie zu Tisch, Sie unartiger Mensch.”

Belustigt reichte er ihr den Arm. „Ich verspreche Ihnen hier reuevoll, daß ich mich bessern werde.”

„Ueber die Brücke würde ich gewiß nicht gehen.”

„Sie können es dennoch — als angehender Ehemann muß ich ja vernünftig werden.”

Als sie sich gegenüber saßen, goß er ihr Wein ein, während sie ihm die Speisen auflegte.

„Schmeckt es Ihnen?” fragte sie, nachdem sie ihn ein Weilchen beobachtet hatte.

„Von Ihrer Hand serviert, schmeckt mir alles.”

„Ich liebe keine Komplimente.”

„Ich auch nicht.”

„Weshalb machen Sie sie mir?”

„Ich sprach die Wahrheit.”

Sie lächelte, schüttelte den kopf und sagte: „Was soll man mit Ihnen anfangen!”

„Man soll mich heiraten,” entgegnete er ganz ruhig.

„Wissen Sie auch, daß ich schon zwei Anträge bekommen habe?”

„Nur zwei? Ich dachte, es würden mindestens ein Dutzend gewesen sein!”

„Und darüber beunruhigen Sie sich gar nicht ein bischen?”

„Nein. Weshalb denn?”

„Nun, ich hätte doch einen Antrag annehmen können.”

Und heiter verneinte er: „Ich habe keinen Gegner zu fürchten.”

„Na, ein bischen Selbstbewußtsein haben Sie ja, das muß man Ihnen lassen!”

„Ohne das kommt man auch nicht weiter.”

Sie sahen sich an. Er lächelte. Sie aber wurde ein wenig unsicher und senkte den Blick.

Nach einem Weilchen fragte sie: „Aber warum essen Sie denn gar nicht mehr? Es schmeckt Ihnen wohl nicht?”

„O danke, es schmeckt vortrefflich, aber das Essen spielt nicht die wichtigste Rolle in meinem Dasein.” Belustigt sah er sie an.

Sie aber erstaunte, — er war der erste Mann, der ihr nicht ins Garn ging, hier verfehlte ihr Trick seine Wirkung.

Nach Tisch sprachen sie von den Geschäften. Sie wollte einige Papiere kaufen und erbat seinen Rat. Jetzt war er ganz der ernste Kaufmann. Sie aber merkte, daß sie ihm gegenüber nicht mehr den harmlosen Plauderton anschlagen konnte, daß sie ihre Ruhe und Sicherheit nicht mehr wie sonst in der Gewalt hatte, und deshalb wurde sie kleinlaut und nervös.

Fehlt Ihnen etwas, Frau Melanie?” fragte er besorgt, als er ihre Blässe bemerkte.

„Nein, danke, es ist nichts” — aber sie ließ sich doch in einen Sessel fallen und schloß eine Sekunde lang die Augen.

Langsam trat er hinter ihren Stuhl, fuhr mit der Hand leise streichelnd über ihr Haar und nannte ganz leise und bittend ihren Namen.

Da schlug sie die Augen auf und sah ihn an.

Und da sank er vor ihr nieder, zog sie an sich und gab ihr den ersten heißen Kuß.

Und dann schlang sie ihre Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuß.

*           *           *

Ein Vierteljahr später waren sie Mann und Frau.

Als sie von der Hochzeitsreise zurückkehrten und in ihr trauliches Heim einzogen, fanden sich auch einige ihrer alten Freunde und Verehrer ein.

Frau Melanie begrüßte sie freundlich, denn sie war noch zu sehr daran gewöhnt, daß man ihr von allen Seiten den Hof machte, und sie dachte, daß dies auch jetzt noch so bleiben würde.

Ihr Mann dagegen behandelte den größten Teil der Freunde nur sehr lauwarm, so daß viele von ihnen sehr bald wieder verschwanden.

„Was hast Du denn gegen die Menschen, daß Du so kühl bist?” fragte sie ihn erstaunt.

„Gar nichts,” sagte er heiter, aber bestimmt, „ich habe gar nichts gegen sie, aber ich mag es nicht, daß meine Frau sich von jedem Hansnarr den Hof machen läßt,” — damit ließ er sie stehen.

Erstaunt sah sie ihm nach. So hatte sie ihn ja noch nie gesehen! Sie wußte gar nicht, was sie davon denken sollte. Vor der Ehe war er doch ganz anders gewesen.

Bei Tisch trafen sie sich wieder.

Als sie sich gegenüber saßen, fing sie wieder davon an, weshalb er ihre ehemaligen Freunde so kurz behandelt habe.

Und da entgegnete er: „Aber weshalb wollen wir uns denn die Freude an dem guten Mittagessen verderben um der fremden Leute willen? Das hier ist doch eine viel wichtigere Beschäftigung!” — Und dabei aß er tapfer darauf los und überließ sie ihren Betrachtungen.

Und wieder sah sie ihn erstaunt an. Zum zweitenmal machte sie eine neue Entdeckung an ihm, eine Entdeckung, die ihr denn doch zu denken gab.

Und wie nun die Tage so dahingingen, kam sie nach und nach dahinter, daß ihr Mann ganz anders war, als er sich ihr vor der Ehe gezeigt hatte: erstens war er eifersüchtig und setzte seinen Willen stets durch, dann aber war er auch ein Freund von guter Küche, so daß sie fast immer zu thun hatte, für seinen verwöhnten Gaumen Leckerbissen zu schaffen — also gerade die beiden Eigenschaften, auf die hin sie ihn damals geprüft hatte, gerade die hatte auch er! Und was noch schlimmer war, — ihr Mann hatte diese beiden Laster, während jeder der beiden anderen Freier doch nur einen dieser Fehler an sich hatte!

Da war sie ja glänzend hineingelegt worden!

Sie ärgerte sich, schämte sich aber, ihre Niederlage einzugestehen, und ertrug ihr Schicksal, wennschon es ihr auch nicht leicht wurde, mit Würde und echt weiblicher Geduld.

Als dann aber ein Jahr später ein kleiner, blonder Stammhalter ankam, da hatte sie nichts mehr zu leiden; nun war der Erbe die wichtigste Person im Hause, dem zuliebe jeder ein Opfer brachte.

Und von dem Tage an grollte sie auch ihrem Manne nicht mehr, sondern sie liebte ihn als den Vater ihres Kindes, dem sie alles zu Gefallen that, was er auch von ihr verlangen mochte.

Als die gute Freundin Emma sie aber einmal fragte: „Sie wollten mir doch immer mal Ihren Trick zum Besten geben?” — da antwortete sie: „Ach, das kommt doch immer alles ganz anders, als wir es uns gedacht haben.”

Die Prüfung zur Ehe.

Eine lustige Geschichte von Paul Bliß
in: „Der Deutsche Correspondent” vom 07.08., 08.08., 09.08.F und 11.08.1902

Frau Melanie war Witwe, war jung, hübsch, liebenswürdig und gebildet, und hatte außerdem noch viel Geld. Und doch war sie nicht zufrieden. Ihre Einsamkeit drückte sie. Rin gewisses Gefühl der Oede erfüllte ihre Brust, ihr Leben kam ihr so nutzlos vor, und nie hatte sie dies stärker empfunden als heute, wo sie sllein unter'm strahlenden Weihnachtsbaum saß, den sie, alter lieber Gewohnheit nach, eigenhändig ausgeschmückt hatte. Ein Weihnachtsabend und allein, da kommen wohl allerlei wehmüthige Gedanken. Und die schöne, junge Wittwe wäre wohl ganz melancholisch geworden, wenn nicht im Laufe des Abends wenigstens ihre Freundin Emma bei ihr vorgesprochen hätte, um sie auf ein Stündchen ihren Grübeleien zu entreßen.

„Aber warum hast Du meine Einladung nicht angenommen, liebstes Herz, anstatt hier als Trauerweidezu sitzen?” fragte Frau Emma.

„Du weißt es ja,” erwiderte Melanie. „Der Anblick eines fröhlichen Familienkreises, das Jauchzen der Kinder würde mir um so schärfer zu Gemüthe führen, was mir fehlt.”

Emma sah die Freundin prüfend von der Seite an.

„Und warum verschaffst Du Dir das, wonach Du Dich sehnst, nicht selbst? Warum, liebe Melanie, heirathest Du nicht wieder? An Bewerbern fehlt es Dir doch wahrlich nicht. Oder solltest Du durch die Erfahrung Deiner ersten Ehe zur Ehefeindin geworden sein?”

„Keineswegs! Aber zweifelhaft und mißtrauisch bin ich geworden, ob ich auch den Rechten finde. Die Ehe ist ja bekanntlich mehr oder minder ein Lotteriespiel. Doch heute habe ich mich entschlossen, eine Entscheidung demnächst herbeizuführen.”

„Also der Rechte ist doch schon gefunden?” fragte Emma lächelnd.

„Nein, ich weiß es selber noch nicht, wen ich wählen soll. Drei Herren machen mir seit längerer Zeit den Hof. Sie gefallen mir im Grunde alle Drei. Aber erst muß ich ihre Charaktere prüfen. Wer von diesen Dreien mir der Rechte zu sein scheint und die Probe besteht, dem reiche ich meine Hand. Das nächste Weihnachtsfest soll bei mir wieder ein richtiges Familienfest werden.”

„Eine Probe soll er bestehen?” fragte Frau Emma neugierig und gespannt.

„Gewiß, meine Liebe. Ich habe nach langem Nachsinnen einen Prüfstein gefunden, der mir das wahre Wesen der Männer enthüllt. Den will ich anwenden.”

Köstlich und originell! Und worin besteht er?”

„Das sage ich Dir, wenn ich glücklich unter die Haube gekommen bin. Also bis dahin Geduld!”

Lächelnd nahmen sie Abschied von einander. Die erfahrene Emma konnte sich nicht enthalten, noch etwas spöttisch zu sagen: „Nimm Dich nur in Acht, daß Dein Prüfstein Dich nicht im Stiche läßt.”

Gegen Mittag des nächsten Tages kam Doktor Müller, der jungen Wittwe seinen Weihnachtsbesuch zu machen. Er war einer der in Frage kommenden Freier.

„Meine Gnädigste, ich wünsche Ihnen glückliche Feiertage. Ich bin entzückt, Sie so wohlauf zu sehen! Keine Spur mehr von der letzten Influenza!”

Galant küßte er ihr die Hand.

Und heiter entgegnete sie: „Ein Compliment Ihrer eigenen Kunst, lieber Freund; Sie sind ja mein Hausarzt.”

Sie setzte sich und bot auch ihm einen Stuhl an.

„Wissen Sie das Neueste, gnädige Frau?” sagte er, sich setzend. „Unser dicker Landgerichtsrath hat sich am Heiligabend verlobt.”

„Das Unglück schreitet schnell,” meinte sie launig und zuckte mit den Schultern, „sprechen wir lieber von etwas Anderem.”

„Aber warum denn? Das Thema ist ja so nett"”

„Doktor!” Drohend lächelte sie ihm zu. „Ich weiß, wo das hinaus soll.”

„Nun ja, Sie wissen, Frau Melanie, daß ich Sie liebe. Warum wollen Sie meinen Antrag nicht hören?”

„Weil ich Sie und mich vor einer Enttäuschung bewahren möchte.”

„Sie glauben nicht an meine Liebe?”

„Warum setzen Sie mir die Pistole auf die Brust?”

„Scherzen Sie doch nicht mit so heiligen Gefühlen!”

Jetzt lachte sie laut auf und rief: „Wenn Sie doch wüßten, wie unglaublich komisch Sie in solcher edlen Aufwallung aussehen, liebster Doktor!”

„Ach, Sie sind herzlos, sonst würden Sie jetzt nicht schlechte Scherze machen!” Entrüstet stand er auf.

Sie aber lachte weiter. Nach einem Weilchen kam er wieder heran zu ihr. „Melanie, ich frage Sie ernsthaft: Glauben Sie nicht an meine Liebe?”

„Und wenn ich es nicht thäte?”

„Dann würde ich fragen müssen —”

„Mein lieber Freund, ich bin kein junges Mädchen mehr, sondern eine Frau, die Erfahrungen gemacht hat, und das Ergebniß meiner Erfahrungen ist folgendes: Ich theile das Leben des Mannes in drei Abschnitte: der erste heißt Liebe, der zweite heißt Genuß, und der dritte heißt —” Zögernd und lächelnd sah sie ihn an.

„Nun, wie heißt er?”

„Bei dem dritten Abschnitt sind Sie jetzt angelangt, lieber Freund!”

„So? Und wie heißt er?”

„Er heißt — Ruhe!”

Ein wenig peinlich berührt, sah er sie an und fragte dann: „Und Sie glauben wirklich —?”

„Ja, ich glaube es wirklich! Aber ich liebe es nicht, wenn mein Mann einen Schlafrock trägt.”

„Mit Ihnen ist heute nicht ernsthaft zu reden, das sehe ich wohl,” grollte er. „Also lassen wir es, bis Sie einmal weniger in Ulklaune sind.”

Er wollte gehen. Sie aber bat ihn, noch zu bleiben.

„Seien Sie heute Mittag mein Gast.”

Ein wenig erstaunt sah er sie an.

„Vorausgesetzt, daß Sie frei sind und nichts Besseres vorhaben.”

„Aber nein, ich bleibe gern!”

Das Mittagessen wurde aufgetragen, und sie saßen sich gegenüber. Er goß ihr goldhellen Rheinwein ein, und sie legte ihm von dem prachtvoll zubereiteten Fisch auf. Alles Vorhergegangene schien vergessen.

„Wie schmeckt Ihnen der Fisch?”

„Hervorragend! Ganz ausgezeichnet! Eine wahre Wohlthat für den kasteiten Magen eines Junggesellen!” Und mit wohligem Behagen aß er weiter.

„Das freut mich. Darf ich Ihnen noch ein Stückchen reichen?”

„Wenn Sie die Güte haben möchten, — so, danke, danke verbindlichst!”

Und wieder aß er weiter, ohne viel auf Anderes als sein Mahl zu achten, so daß sie heimlich lächeln mußte.

Als zweiter Gang kamen Hammelrippchen mit jungen Gemüsen.

„Sie gestatten doch, lieber Freund, daß ich Sie bediene?” fragte sie lächelnd und nahm seinen Teller.

„Frau Melanie, Sie sind das entzückendste Wesen, das ich kenne! Auf Ihr Wohl!” Mit Begeisterung leerte er sein Glas, füllte es aber gleich wieder und machte sich dann über den zweiten Gang her.

Sie aß wenig, beobachtete ihn aber um so genauer. Als sie den Zeitpunkt für geeignet erachtete, begann sie: „Da Sie ein so guter Freund von mir sind, darf ich Ihnen übrigens ein Geheimniß anvertrauen.”

Er nickte ihr zu, kaute aber ruhig weiter.

„Rechtsanwalt Bachmann hat mir einen Antrag gemacht.”

„So, so, das dachte ich mir! So ein blöder Kerl!” Er sprach das so ganz leichthin, ohne jede Erregung, aß aber ruhig weiter, bis der Teller leer war.

Inzwischen war der Braten aufgetragen worden, von dem sie ihm ein paar tüchtige Scheiben vorlegte.

„Ah!” rief er begeistert, „Ihre Köchin versteht ihr Geschäft, das muß ich sagen! Solch' einen Braten habe ich noch nicht gegessen!”

„Freut mich außerordentlich,” entgegnete sie launig, „ich werde das Gehalt meiner Köchin erhöhen, um mir dies Juwel zu erhalten.”

„Prächtig! Prächtig!” Mit vollen Backen arbeitete er weiter.

Und nun begann sie wieder, langsam und leise lauernd: „Uebrigens muß ich sagen, daß der Anwalt gar kein übler Mann ist, er hat Lebensart und weiß etwas aus sich zu machen. Finden Sie das nicht auch?”

Aber Doktor Müller antwortete nichts, weil er zu sehr mit dem delikaten Braten beschäftigt war.

„Oder mögen Sie ihn etwa nicht leiden?” fragte sie weiter.

„Wie? Wen?” Erstaunt sah er auf von seinem Teller. „Ach so, Sie sprachen von dem Bachmann, — Verzeihung! Na, es geht, ein ganz netter Mensch, bloß ein bischen sehr von sich eingenommen,” Und schnell nahm er die unterbrochene Mehlzeit wieder auf.

„Das kann ich durchaus nicht sagen, im Gegentheil, ich finde, daß er einem Frauenherzen recht gefährlich werden kann. — Aber darf ich Ihnen nicht noch ein wenig Braten anbieten?”

„Na ja, geben Sie mir noch ein Stückchen, es schmeckt gar zu gut,” rief er strahlend.

Und als er wieder aß, sagte sie heiter: „Also nehmen Sie sich in Acht, es ist Gefahr im Verzuge.”

Er aber verneinte nur lächelnd und kaute unbesorgt weiter, bis der Nachtisch serviert wurde.

Nach dem Essen nahm man den Kaffee, und als er sich behaglich eine Cigarre ansteckte, sagte sie: „Nun kann ich Ihnen übrigens auch gleich eine endgültige Antwort geben, lieber Doktor.”

Fragend sah er sie an.

Lächelnd fuhr sie fort: „Ich habe bei Tisch die genaue Beobachtung gemacht, daß Sie sich schon sehr stark in dem bewußten dritten Abschnitt befinden, und deshalb bedaure ich außerordentlich, Ihren Antrag ablehnen zu müssen.”

„Scherzen Sie doch nicht immerzu darüber.”

„O nein, diesmal ist es mir ernst.”

„Aber warum denn jetzt auf einmal der schnelle Entschluß?” fragte er beängstigt.

„Weil Sie für einen Liebhaber einen zu guten Appetit haben, lieber Freund. ich sprach Ihnen von einem Nebenbuhler. Sie aber dachten nur an Ihren Magen. Wenn das schon vor der Ehe geschieht, was erst soll dann erst noch später kommen?”

Er wollte noch zu seinem Besten reden, um sich wenigstens einen ehrenvollen Abgang zu schaffen, aber auch das mißlang, denn er redete sich immer tiefer hinein, bis es zuletzt nur die eine Möglichkeit gab, schnell zu verschwinden. —

Als er fort war, eilte sie an den Schreibtisch, lud den Rechtsanwalt Bachmann ein, sie heute abend zum Thee zu besuchen und ließ den Brief sofort besorgen.

Jetzt wollte sie an dem zweiten Freier die Probe machen.

Pünktlich um sieben Uhr erschien der Rechtsanwalt, ein eleganter, schneidiger Herr.

„Meine Gnädige, Ihre Einladung hat mich riesig gefreut!”

Sie lächelte nur fein und hieß ihn willkommen.

Als sie fünf Minuten später am Kamin saßen und auf dem Ecktisch der Theekessel summte, leitete er das Gespräch von den alltäglichen Neuigkeiten geschickt zu seinen eigenen Interessen über, indem er — genau wie der Doktor — fragte: „Wissen Sie übrigens schon, daß sich Landgerichtsrath Weber verlobt hat?”

Frau Melanie lächelte, nickte und sagte: „Doktor Müller erzählte es mir.”

Plötzlich fragte er: „Warum, meine gnädigste Frau, heirathen nicht auch Sie wieder?”

„Meinen Sie, daß ich mich beeilen müßte, um den rechten Augenblick nicht zu verfehlen?” Heiter fuhr sie ihn an.

Auch er wurde lustig. „Wenn ich das auch nicht so wörtlich meine, wie Sie es da sagen, so denke ich doch, daß diese Frage immerhin so viel Wichtigkeit für Sie hat, daß wir sie ernsthaft besprechen können.”

Einen Augenblick sah sie ihn an. Sie ärgerte sich, daß er ihr diese Lektion geben konnte, dann aber fand sie ihre Ruhe wieder und sagte mit ganz leiser Ironie: „Sie vergessen, lieber Freund, daß ich kein junges Mädchen mehr bin. Vor sechs Jahren, als ich heirathete, dachte ich ähnlich, wie Sie, jetzt, nun ich die Ehe und das Leben kenne, denke ich anders darüber. Ich halte die Ehe für ein Lotteriespiel — der Vergleich mag alt sein, aber er ist treffend. Einmal bin ich in diesem Spiel mit keinem großen Gewinn herausgekommen,weshalb sollte ich also einen zweiten Versuch machen?”

„Weil man dem Glück die Hand bieten muß, — um bei Ihrem Gleichniß zu bleiben.”

„Auch der Begriff von Glück ist verschieden. Wer sagt Ihnen, daß ich so, wie ich mein Leben jetzt eingerichtet habe, nicht glücklich bin?

„Mit anderen Worten: Sie denken nicht wieder an eine Heirath.”

Das will ich nicht gesagt haben,” entgegnete sie zögernd und schaute in die Kamingluth. „Wenn der Rechte kommt, dann bin ich vielleicht nicht abgeneigt, über seinen Antrag nachzudenken.”

Er räusperte sich ein wenig, holte tief Athem und begann:

„Nun, Frau Melanie, könnten Sie nicht in mir den Rechten sehen?”

Noch immer blickte sie in die Kamingluth und antwortete Nichts.

„Sie müssen es doch längst gemerkt haben, daß ich Ihnen mehr als bloße Freundschaft entgegenbringe, Frau Melanie.”

Jetzt sah sie ihn an und nickte. „Ich weiß, daß Sie sich mit dem Gedanken tragen, mir einen Antrag zu machen,. Sie sehen also, ich war darauf gefaßt, heute etwas derartiges von Ihnen zu hören.”

Eine Pause entstand. Beide sahen sich an.

Endlich sagte er: „Und was antworten Sie mir, Frau Melanie?”

Sie zuckte mit den Schultern, stand auf und sagte: „Kommen Sie zu Tisch, lassen Sie uns erst ein wenig essen.”

Er folgte ihr, aber er ärgerte sich, daß sie ihn zappeln ließ. Er vermochte nur schwer, seinen Unwillen zu unterdrücken.

Als sie bei Tisch sich gegenüber saßen, bemerkte sie, daß er sich geärgert hatte. Aber ganz gleichmüthig schob sie ihm die Schaale mit den Caviarbrötchen hin und bat ihn, zuzulangen.

Er dankte. „Wenn Sie gestatten, nehme ich nur ein wenig Thee,” sagte er.

„Nein!” bat sie, „das dürfen Sie mir nicht anthun! Geben Sie mir einmal Ihren Teller her — so, versuchen Sie erst einmal diese Caviarschnitte, — so, und dann ein wenig von der Pastete, auch ein Stückchen von der Ente, so — und dann werden Sie schon selber zulangen, wenn es Ihnen schmeckt.”

Lächelnd besah er Teller, den Sie ihm so appetitlich angerichtet hatte. „Alle Achtung! Sie trauen mir einen ganz gesegneten Appetit zu.”

„Aber ich fühle mich gekränkt, wenn Sie nicht essen wollen bei mir! So etwas bin ich gar nicht gewöhnt!”

Lächelnd sah sie ihn an. Er faßte offenbar Hoffnung.

Und so begannen sie zu essen, und es zeigte sich, daß auch er durchaus kein Kostverächter war.

Plötzlich begann sie: „Uebrigens bin ich Ihnen Offenheit schuldig, lieber Rechtsanwalt. Kennen Sie den Dr. Müller?”

„O ja,” versetzte er und wurde aufmerksam.

„Kennen Sie ihn genauer?”

„Auch das.”

„Er ist doch ein recht guter, braver Mensch, nicht wahr?”

„O ja”, und er legte Messer und Gabel fort.

„Ich halte ihn für einen prächtigen Mann, dem man sich wohl anvertrauen könnte. — Aber bitte, nehmen Sie doch noch ein wenig, bitte, ja!”

„Danke, danke,” sagte er nur.

„Ein Stückchen Pastete oder etwas Salat.”

„Ich muß wirklich danken,” wehrte er jetzt so energisch ab, so daß sie ihn scheinbar erstaunt ansah.

„Aber was fehlt Ihnen denn, lieber Freund? Sie sind ja plötzlich ganz erregt!”

„O, es ist wohl nur der Thee — ich habe wohl zu schnell getrunken.” Mit Gewalt nahm er sich zusammen und fuhr dann ruhiger fort: „Uebrigens, woher kennen Sie denn den Doktor so genau, wenn die Frage gestattet ist?”

Er interessiert mich.”

„So, so!”

„Und ich möchte gern wissen, ob ich mich in meinen Beobachtungen nicht getäuscht habe.”

„Und deshalb ließen Sie mich kommen!?” Mit schlecht verstecktem Zorn sah er sie an.

„Ja,” sagte sie muthig.

Es entstand ein längeres Schweigen. Ganz harmlos, als ob Nichts geschehen wäre, saß sie da, und knabberte an einem Biscuit, während er nervös über seine Serviette strich.

Endlich begann er mit erregter Stimme: „Also bitte, fragen Sie, was wünschen Sie von mir über Herrn Doktor Müller zu wissen? Wie seine Finanzen sind, oder wie viel Bier er trinkt, oder ob er sonst üble Angewohnheiten hat? — Fragen Sie nur ganz frei heraus. Wenn ich kann, will ich die denkbar beste Auskunft geben, denn so viel habe ich ja schon gemerkt, der gute Doktor hat große Anwartschaft, der bewußte „Rechte” zu sein.”

Lächelnd sah sie ihn an. „Lieber Freund, Sie sind eifersüchtig, und das ist keine gute Eigenschaft.”

„Ich bedaure außerordentlich, daß ich Ihnen mißfalle, gnädige Frau, und ich bin überzeugt, daß meine Aussichten nunmehr sehr schlecht stehen,” sagte er mit ironischem Lächeln. „Aber ich kann mir nicht helfen, das ist eben mein Naturell.”

Damit erhob er sich.

„Dann beneide ich Die, welche einmal Ihre Frau wird, gewiß nicht.” Auch sie stand auf, verletzt durch seine Schroffheit.

„Sie gestatten, daß ich mich empfehle, gnädige Frau?”

„Herr Rechtsanwalt —”

Mit stummem Gruß verschwand er.

Als sie allein war, hatte sie den Aerger bereits überwunden und lachte nun laut auf. Das fehlte ihr auch gerade noch! Deshalb noch einmal in's Ehejoch gehen! Der erste ein Mensch, dem sein Magen über Alles ging, und der Zweite ein eifersüchtiger, selbstherrlicher Narr, der seinem WillenA alles unterordnen würde — ach nein! Ehe sie solch' eine Ehe einginge, lieber Wittwe bleiben bis an das Lebensende!

Aber da war ja noch der dritte Freier! Gut, sie wollte auch das Letzte noch versuchen.

Und sie setzte sich nieder und lud den Direktor Schmelzer für den nächsten Tag zum Essen ein.

Direktor Schmelzer, ein Mann von 35 Jahren, war Vorstand einer großen Versicherungsgesellschaft; früher war er Offizier gewesen, ein schneidiger Soldat und für jeden lustigen Streich zu haben. Dann aber mußte er schuldenhalber den Dienst verlassen und sich eine bürgerliche Stellung gründen. Jetzt hatte er sich mit Hülfe eines Onkels so weit arrangirt, daß seine Zukunft gesichert war.

Am andern Tage erschien also dieser Dritte bei Frau Melanie, die ihn freundlicher empfing, als die zwei ersten Freier.

„Nun, meine Gnädige,” sagte er mit leichtem Sarkasmus, „was verschafft mir denn die Ehre, wieder 'mal Ihr Gast sein zu dürfen?”

„Geschäftliche Fragen, lieber Freund, über die ich mit Ihnen berathen möchte.”

„Oh, wollen Sie Ihr kostbares Leben versichern?”

Lächelnd verneinte sie. „Sie überschätzen den Werth meines Daseins ganz entschieden.”

„Ganz gewiß nicht! Für mich hat es unbezahlbaren Werth!”

„Für Sie? Und das soll ich Ihnen glauben?”

„Weshalb möchten Sie es denn nicht glauben?”

„Weil ich Ihnen gar nicht so viel Geduld zutraue, daß Sie sich die Zeit nehmen, meinen Daseinswerth zu prüfen.”

„Den versteckten Vorwurf fühle ich ganz deutlich.”

„Aber ich will Ihnen gar keinen Vorwurf machen, im Gegentheil, ich kann es recht gut verstehen, wenn ein Mann sein Leben genießt und das Gute nimmt, wo er es findet.”

Er aber machte ein würdevolles Gesicht und sprach: „Das war einmal, das liegt weit hinter mir; jetzt bin ich schon lange vernünftig geworden, so vernünftig, daß ich sogar ganz ernsthaft an —”

„An eine Heirath denke,” vollendete sie schnell.

„Wie Sie doch Alles gleich errathen!” neckte er sie.

„Damit imponiren Sie mir aber gar nicht, lieber Freund, mir waren Sie viel lieber, so lange Sie nicht ans Heirathen dachten,” rief sie lustig.

„Erlauben Sie, gedacht habe ich an's Heirathen schon, so lange ich hier bei Ihnen ein- und ausgehe, nur habe ich bisher nie davon gesprochen.”

„O, Sie schlechter Mensch! Das verdient, energisch bestraft zu werden,” und drohend erhob sie die Hand.

„Ich strafe mich sofort selber,” rief er heiter, nahm ihre Hand und bedeckte sie mit vielen innigen Küssen.

„Man kann Ihnen wirklich nicht zürnen,” rief sie lachend.

„Das soll man auch nicht!” enrgegnete er mit angenommener Würde, indem er ihre Hand streichelte, „im Gegentheil, man soll mich recht gut und lieb behandeln, und wenn ich jetzt sage: Frau Melanie, ich habe Sie recht von Herzen lieb, dann soll man mir antworten: ich Dich auch!” — Und wieder küßte er die kleine, weiße Hand.

„Sie sind heute besonders gut bei Laune,” rief sie und entzog ihm schnell die Hand.

Inzwischen war das Essen fertig.

„Kommen Sie zu Tisch, Sie unartiger Mensch.”

Belustigt reichte er ihr den Arm. „Ich verspreche Ihnen hier reuevoll, daß ich mich bessern werde.”

„Ueber diese Brücke würde ich gewiß nicht gehen.”

„Sie können es dennoch. als angehender Ehemann muß ich ja vernünftig werden.”

Als sie sich gegenüber saßen, goß er ihr Wein ein, während sie ihm die Speisen auflegte.

„Schmeckt es Ihnen?” fragte sie, nachdem sie ihn ein Weilchen beobachtet hatte.

„Von Ihrer Hand servirt, schmeckt mir Alles.”

„Ich liebe keine Complimente.”

„Ich auch nicht.”

„Weshalb machen Sie sie mir?”

„Ich sprach die Wahrheit.”

Sie lächelte, schüttelte den kopf und sagte: „Was soll man mit Ihnen anfangen?”

„Man soll mich heirathen,” entgegnete er ganz ruhig.

„Wissen Sie übrigens, daß ich schon zwei Anträge bekommen habe?”

„Nur zwei? Ich dachte, es würden mindestens ein Dutzend gewesen sein!”

„Und darüber beunruhigen Sie sich gar nicht ein Bischen?”

„Nein! Weshalb denn?”

„Nun, ich hätte doch einen Antrag annehmen können.”

Und heiter verneinte er: „Ich habe keinen Gegner zu fürchten.”

„Na, ein anständiges Selbstbewußtsein haben Sie ja, das muß man Ihnen lassen!”

„Ohne das kommt man auch nicht weiter.”

Sie sahen sich an. Er lächelte. Sie aber wurde ein wenig unsicher und senkte den Blick.

Nach einem Weilchen fragte sie: „Aber warum essen Sie denn gar nicht mehr? Es schmeckt Ihnen wohl nicht?”

„O danke, es schmeckt vortrefflich, aber das Essen spielt nicht die wichtigste Rolle in meinem Dasein.”

Sie sah. er ging ihr nicht in's Garn, hier verfehlte ihr Prüfstein die Wirkung.

Nach Tisch sprachen sie von den Geschäften. Sie wollte einige Papiere kaufen und erbat seinen Rath. Jetzt war er ganz der ernste Geschäftsmann. Sie aber merkte, daß sie ihm gegenüber nicht mehr den harmlosen Plauderton anschlagen konnte, daß sie ihre Ruhe und Sicherheit nicht mehr wie sonst besaß, und deshalb wurde sie kleinlaut und nervös.

„Fehlt Ihnen etwas, Frau Melanie?” fragte er besorgt, als er ihre Blässe bemerkte.

„Nein, danke, es ist nichts” — aber sie ließ sich doch in einen Sessel fallen und schloß eine Sekunde lang die Augen.

Langsam trat er hinter ihren Stuhl, fuhr mit der Hand leise streichelnd über ihr Haar und nannte ganz leise und bittend ihren Namen.

Da schlug sie die Augen auf und sah ihn an. Und da zog er sie an sich und gab ihr den ersten heißen Kuß. Und dann schlang sie ihre Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuß.

*           *           *

Ein Vierteljahr später waren sie Mann und Frau. Als sie von der Hochzeitsreise zurückkehrten und in ihr trauliches Heim einzogen, fanden sich auch einige ihrer alten Freunde und Verehrer ein.

Frau Melanie begrüßte sie freundlich, denn sie war noch zu sehr daran gewöhnt, daß man ihr von allen Seiten den Hof machte, und sie dachte, daß dies auch jetzt noch so bleiben würde.

Ihr Mann dagegen behandelte den größten Teil der Freunde sehr kühl, so daß viele von ihnen sehr bald wieder verschwanden.

„Was hast Du denn gegen die Menschen, daß Du so kühl bist?” fragte sie ihn erstaunt.

„Gar nichts,” sagte er heiter, aber bestimmt, „ich habe gar nichts gegen sie, aber ich mag es nicht, daß meine Frau sich von Jedem den Hof machen läßt,”

Damit ließ er sie stehen.

Erstaunt sah sie ihm nach. So hatte sie ihn ja noch nie gesehen. Sie wußte gar nicht, was sie davon denken sollte. Bei Tisch trafen sie sich wieder.

Als sie sich gegenüber saßen, fing sie wieder davon an, weshalb er ihre ehemaligen Freunde so kurz behandelt habe.

Und da entgegnete er: „Weshalb wollen wir uns denn die Freude an dem guten Mittagessen verderben um der fremden Leute willen? Das hier ist doch eine viel wichtigere Beschäftigung!”

Und dabei aß er tapfer drauf los und überließ sie ihren Betrachtungen.

Und wieder sah sie ihn erstaunt an. Zum zweitenmal machte sie eine neue Entdeckung an ihm, eine Entdeckung, die ihr denn doch zu denken gab.

Und wie nun die Tage so dahingingen, kam sie nach und nach dahinter, daß ihr Mann ganz anders war, als er sich ihr vor der Ehe gezeigt hatte. Erstens war er eifersüchtig und setzte seinen Willen stets durch, zweitens war er ein Freund von guter Küche, so daß sie fast immer zu thun hatte, für seinen verwöhnten Gaumen zu sorgen. Aber gerade die beiden Eigenschaften, die sie nach ihrer damaligen Prüfung als nicht vorhanden gewähnt hatte, gerade die hatte er, während jeder der beiden anderen Freier doch nur einen dieser Fehler an sich hatte!

„Ach, wie schwer hatte sie ihr unfehlbarer Prüfstein im Stiche gelassen"

Sie ärgerte sich, schämte sich aber, ihre Niederlage einzugestehen, und ertrug ihr Schicksal mit Würde und weiblicher Geduld.

Als dann aber ein Jahr später ein kleiner blonder Stammhalter ankam, da hatte sie nichts mehr zu leiden; nun war der Erbe die wichtigste Person im Hause, dem zu Liebe jeder gern ein Opfer brachte.

Und von dem Tage an grollte sie auch ihrem Manne nicht mehr, sondern sie liebte ihn als den Vater ihres Kindes, dem sie Alles zu Gefallen that, was er auch von ihr verlangen mochte.

Als die gute Freundin Emma sie aber einmal fragte: „Du wolltest mir doch immer mal Deinen „Prüfstein” verraten!” — da antwortete sie: „Ach, das kommt doch immer Alles ganz anders, als wir es uns gedacht haben.”

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